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Der transatlantische Sklavenhandel war noch rassistischer, als du glaubtest

Rassismus ist uns in unserer Gesellschaft bis heute ein treuer Gefährte und war das in der Geschichte schon ziemlich lange. Heute gilt Rassismus ja zum Glück in vielen Kreisen als Tabu, was freilich nicht bedeutet, dass er einfach verschwunden wäre. Aber immerhin … Irgendwo muss man ja beginnen. In den USA wird auch regelmäßig darüber diskutiert, wo Rassismus eigentlich beginnt und was einen rassistischen Menschen ausmacht. Und zugegeben: So einfach ist es ja auch nicht immer und gerade weißen Leuten aus den Südstaaten wird allein aufgrund ihres Akzents oft schon eine gewisse Fremdenfeindlichkeit unterstellt. In der Vergangenheit tun wir uns da in der Einschätzung manchmal leichter. Es gibt nämlich auch ganz offensichtliche Beispiele für rassistische Akte. Der transatlantische Sklavenhandel ist so ein Beispiel.

Beim Sklavenhandel ist die Sache ja auch wirklich verdammt einfach! Die Tatsache, dass weiße Europäer keinerlei moralischen Probleme darin sahen, Millionen von Menschen von Afrika nach Amerika zu verschleppen, spricht Bände. Bei der oberflächlichen Betrachtung des transatlantischen Sklavenhandels übersieht man aber manchmal, wie rassistisch er tatsächlich in seinem Kern war. Das zeigt sich nämlich nicht nur im großen Ganzen, im System des Dreieckhandels mit Europa in seiner Mitte, sondern vor allem auch in den kleinen Dingen. In diesem Artikel möchte ich über drei solche „kleinen“ Dinge reden und du wirst sehen: Der Sklavenhandel war sogar noch rassistischer, als du immer schon geglaubt hast!

Großbritannien und die schwarzen Loyalisten

Verschwenden wir also keine Zeit. Wenn wir über Rassismus, Sklavenhandel und den Kolonialismus reden wollen, müssen wir eigentlich fast zwangsläufig bei England beziehungsweise Großbritannien anfangen. Es stimmt zwar: Der transatlantische Dreieckshandel und der Sklavenhandel nach Amerika im Allgemeinen begann bereits mit Spanien und Portugal und auch die Niederlande, Frankreich und sogar Dänemark waren daran beteiligt. Der wichtigste Player saß aber eben schon bald in London. Für England begann die große Ära der Sklaverei im späten 17. Jahrhundert und das 18. Jahrhundert stellte dann den absoluten Höhepunkt dar. Hauptgrund dafür war die Entwicklung der Landwirtschaft in den nordamerikanischen und karibischen Kolonien. Mit Ende des 17. Jahrhunderts entwickelte sich dort nämlich im großen Stil die Plantagenwirtschaft. Die verlangte nach mehr und mehr billigen Arbeitskräften, weshalb bald Afrikaner in den Hundertausenden nach Amerika verschifft wurden.

Dazu gehörte von britischer Seite schon mal ein gewisses „Verständnis“ für die Minderwertigkeit afrikanischer Menschen. Als die Lage in Nordamerika für die Briten dann aber langsam problematisch wurde, zeigte sich erst richtig, wie zynisch die britischen Machthaber mit den afrikanischen Sklaven umzugehen bereit waren. Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg griff das Britische Empire ab 1775 ja in seinem Kern an. Plötzlich erhoben sich da weiße Kolonialisten, die man doch selbst erst nach Amerika geschickt hatte, gegen die Herrschaft Londons! Die Panik war den königlichen Gouverneuren in den nordamerikanischen Kolonien schon bald anzusehen. Gleich im Herbst 1775, nur wenige Monate nach Ausbruch des Krieges, bot der Gouverneur von Virginia allen Sklaven des Staates die Freiheit an, wenn sie für die Krone in den Krieg zogen! Auch in anderen Staaten schlossen sich einige Sklaven den britischen Kräften an. Nicht dass dieses Versprechen den gesamten Krieg über geehrt wurde aber immerhin: Nach ihrer Niederlage erinnerten sich die Briten dann doch daran.

Nachdem der Krieg 1784 in einem Debakel für Großbritannien endete, wurden knapp 3.000 dieser sogenannten „schwarzen Loyalisten“ nach Kanada evakuiert und dort in Nova Scotia angesiedelt. So weit, so gut, würde man sich nun eigentlich denken. So rassistisch verhalten sich die Briten bis hierhin doch gar nicht! Aber wir wollen mal nicht zu früh urteilen. Für die nun freien Loyalisten wurde es in Nova Scotia nämlich auch bald wieder ungemütlich. Gleich im Jahr ihrer Ankunft wurden sie von einem weißen Mob angegriffen. Abgesehen davon wiesen ihnen britischen Verwalter ohnehin den weitaus schlechteren Teil des Landes zu und sie fanden sich meist auf wenig fruchtbarem Boden wieder. In den 1790ern entwickelte das Empire also einen neuen Plan! Die Schwarzen Loyalisten in Kanada sowie alle anderen freien Schwarzen, die sich im Empire so tummelten, sollten einfach „nach Hause“ gebracht werden. In der Folgezeit wurden Tausende von ihnen kurzerhand nach Sierra Leone an der afrikanischen Westküste verbracht. Sie hatten zwar theoretisch die Wahl, aber gar zu gemütlich war es für ehemalige Sklaven weder in Nova Scotia noch in England. Und letzten Endes: Würden sich diese Schwarzen in Afrika bei ihren Freunden nicht ohnehin viel wohler fühlen?

Die „Negerrepublik“ Liberia

Da hat der tief verwurzelte Rassismus bei den Briten schon ganz anständig zugeschlagen. Dass Sierra Leona keineswegs das „Zuhause“ der Schwarzen Loyalisten aus Nordamerika war, sollte aber auch schon damals jedem klar gewesen sein. Aber das machte nichts. Trotzdem machte das britische Modell bald Schule. Gerade in den nun unabhängigen Vereinigten Staaten entwickelte sich in den Jahrzehnten nach dem Unabhängigkeitskrieg schließlich ein wahrhaftiges Problem aus den Sklaven heraus. Es gab nämlich immer wieder störrische Sklavenhalter, die mit ihrem Geld nichts besser zu tun wussten, als ihren Sklaven die Freiheit zu schenken. Somit lebten um 1820 schon an die 200.000 freien Schwarzen in den USA. Das Problem dabei: Die weiße Führungsschicht hatte keine Ahnung, was man mit ihnen machen sollte. Integrieren in die Gesellschaft ging doch beim besten Willen nicht, das verbot schon der puritanische Anstand! Also sahen sie sich nach Alternativen um und landeten bald bei der bekannten „Lösung“ aus Britannien.

Der erste, der sich in den USA für eine „Rücksiedlung“ schwarzer Einwohner nach Afrika einsetzte, war aber kein Mitglied der weißen Oberschicht sondern ein gewisser Paul Cuffee. Er erhielt von London die Erlaubnis, schwarze freie Amerikaner ebenfalls nach Sierra Leone zu bringen und organisierte 1816 ein erstes Schiff, das die ersten 38 von ihnen genau dorthin brachte. Da er im Folgejahr aber starb, konnte er sein Vorhaben nicht weiter verfolgen. Das übernahm dann eben genau jene weiße Führungsschicht, die ja nun wirklich jeden Grund hatte, die freien Schwarzen loszuwerden! Sie waren doch nicht integrierbar, den Weißen unterlegen, obendrein kriminell veranlagt und würden unter den Sklaven nur für Aufruhr sorgen! So gründeten einige elitäre Herren Washingtons 1816 die American Colonization Society. Ihr Ziel war es, so viele ex-Sklaven wie möglich von den USA nach Afrika umzusiedeln. Als Ziel suchten sie sich ein südlich an Sierra Leone angrenzendes Gebiet aus, das wir heute als Liberia kennen.

Im Jahr 1820 fuhr das erste Schiff der Society dorthin und hatte 88 schwarze und drei weiße Passagiere an Bord. Kaum einer dieser 88 ehemaligen Sklaven war aber tatsächlich frei und hatte sich selbst für die Überfahrt gemeldet. Vielmehr kaufte die Society einfach Sklaven frei, um sie mehr oder weniger gezwungen umzusiedeln. Innerhalb von nur wenigen Wochen starben alle drei weißen und 22 der schwarzen Passagiere des Schiffs in ihrer neuen Heimat obendrein am Gelbfieber, was die ACS aber nicht davon abhielt, weitere Menschen dort hinzuschicken. Erst knapp dreißig Jahre später wurde es der Society wohl zu viel. Inzwischen waren tatsächlich einige tausend ehemalige Sklaven in Liberia angekommen, die ACS wollte dafür aber finanziell nicht mehr gerade stehen. Also überredete man den Gouverneur der Kolonie einfach, Liberia für unabhängig zu erklären. Damit war die „Negerrepublik“ Liberia geboren. Die Siedler demonstrierten dort schnell, wie falsch die rassistische Annahme der American Colonization Society war, dass schwarze Amerikaner in Afrika doch ohnehin „besser reinpassen“. Sie erbauten in Liberia nämlich ein apartheidähnliches System, in dem nicht mal 5% der Bevölkerung die restlichen 95%, die ursprünglichen Einwohner des Landes, unterdrückten. Erst 1980 wurde diese Oberschicht entmachtet, gefolgt von einem blutigen Bürgerkrieg.

Sklavenhandel und der Slave Trade Act

Aber zurück zu den Briten! Jeder nationalbewusste Engländer wird jetzt nämlich darauf hinweisen, dass es doch auch Großbritannien war, dass mit seinem Slave Trade Act von 1807 als erstes den transatlantischen Sklavenhandel beziehungsweise sogar den gesamten Sklavenhandel im britischen Empire abschaffte. Und tatsächlich stimmt das auch. Schon im späten 18. Jahrhundert gab es in Großbritannien nämlich vermehrt Stimmen, die ein Ende der Sklaverei oder zumindest ein Ende des britischen Sklavenhandels forderten. Was der nationalbewusste Engländer aber vielleicht weniger erwähnenswert finden wird, ist dass der Slave Trade Act ja nur den Handel, eben den Trade, von Sklaven verbot, nicht die Sklaverei selbst. Darüber hinaus war London äußerst erpicht darauf, durch die Abschaffung dieses Handels keine wirtschaftlichen Nachteile zu erleiden. Und das stellte man auch sicher.

Die Chance dafür ergab sich schon sehr bald, nämlich am Wiener Kongress, der Europa nach den napoleonischen Kriegen 1815 neu ordnen sollte. Dort setzte die britische Delegation tatsächlich durch, dass in den Kongressakten die Sklaverei geächtet wurde. Das bedeutete freilich nicht, dass alle europäischen Staaten mit dem Sklavenhandel über Nacht aufgehört hätten. Spanien und Portugal wurden von Britannien dann einfach bestochen und ausgezahlt, um den Handel sein zu lassen. Brasilien schüchterte man dagegen militärisch ein. Nur Frankreich handelte noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts mit Menschen über den Atlantik, bevor es dieses Geschäft auch aufgab. Die Sache ist im Fall der Briten also durchaus zweischneidig. Einerseits waren sie die erste europäische Großmacht, die den Sklavenhandel abschaffte. Und es waren auch sie, die die restlichen Mächte dazu zwangen, dasselbe zu tun. Auf der anderen Seite taten sie das alles nur, wenn auch sichergestellt werden konnte, dass die Wirtschaft durch das Ende der Sklaverei nicht allzu sehr in Mitleidenschaft gezogen wird. War das auch in den zweihundert Jahren zuvor schon das Hindernis?

Auf dem Podcast spreche ich diese Woche im Detail über die American Colonization Society und ihre Pläne in Liberia. Dazu kann man nämlich noch einiges mehr sagen, als in diesem kurzen Artikel. Wenn du nun noch mehr Geschichte haben möchtest und diese außerdem frei Haus geliefert präferierst, habe ich noch ein besonders Angebot für dich. Melde dich doch für den Déjà-vu Geschichte Newsletter an! Deine regelmäßige Dosis Geschichte direkt ins Postfach. Ich würde mich freuen, dich in der Community begrüßen zu dürfen.

Ein Gedanke zu „Der transatlantische Sklavenhandel war noch rassistischer, als du glaubtest“

  1. Rainer Kirmse , Altenburg

    Ein kleines Gedicht zur kaum aufgearbeiteten leidvollen Geschichte der Schwarzen in den USA:

    BLACK LIVES DIDN’T MATTER

    In Ketten gelegt aus Eisen,
    Rechtlose Sklaven der Weißen;
    So kamen sie dereinst ins Land,
    Auch Gottes eigenes genannt.

    Es folgten Jahre harter Fron,
    Schläge und Tritte nur der Lohn;
    Jahrhunderte bitteres Leid,
    Kein Gott sie je daraus befreit.

    Ein Sklavenleben galt nicht viel,
    Der Profit war oberstes Ziel.
    Das Geschäft der Weißen lief gut,
    Schwarze Sklaven zahlten mit Blut.

    Ein Krieg erst konnt‘ sie erretten,
    Nun endlich fielen die Ketten;
    Doch in den Köpfen die Mauern
    Sollten lang noch überdauern.

    Mit Lynchjustiz und Ku-Klux-Klan
    Reagierte der weiße Mann;
    Die Rassentrennung propagiert,
    Wurden Farbige attackiert.

    Es brauchte viele Gefechte,
    Bis kamen die Bürgerrechte.
    Wenn sie auch gewaltig wanken,
    Noch stehen die Rassenschranken.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

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