Detroit ist eine mittelgroße Stadt im US-amerikanischen Norden. Etwas über eine halbe Million Einwohner, in der Nähe der Großen Seen gelegen, an der Grenze zu Kanada. Auf den ersten Blick ist daran nichts wirklich Auffallendes zu finden. Doch das trügt gewaltig. Denn Detroit ist die amerikanische Großstadt mit der wohl wechselhaftesten Geschichte von allen. Sie war schon im vorletzten Jahrhundert eine industrielle Hochburg, dann die Motor City, Stadt des Autos und des amerikanischen Traums schlechthin. Sie ist aber auch eine sterbende Stadt, eine Stadt des Verfalls, eine Stadt im Untergang. Im Jahr 2013 wurde Detroit sogar zur ersten Großstadt der USA, die in die Pleite schlitterte und Konkurs anmelden musste. Aber bis dahin war es für sie ein weiter Weg. Von der französischen Gründung über zur Autostadt hin zur Geisterstadt hätte die Geschichte Detroits auch ganz anders verlaufen können.
Die französische Stadt an der Enge
An der Stelle der heutigen Stadt Detroit lebten wahrscheinlich schon ziemlich lange Menschen, auch vor der Ankunft der Europäer auf dem amerikanischen Kontinent. Immerhin ist die Lage auch wirklich vorteilhaft und seit jeher Teil unterschiedlichster Handelsrouten. Zwischen zwei der großen Seen Nordamerikas, dem Eriesee und dem Huronsee, gelegen geht die Gründung der Stadt in ihrer modernen Form jedoch erst auf französische Kolonialisten zurück. Und schon im Namen der Stadt haben sie ihre geografische Lage verewigt. D’Etroit, an der Enge. Gemeint ist damit der Detroit River, der den Eriesee mit dem kleinen Lake St. Clair verbindet, bevor weiter nördlich der Huronsee folgt. Die erste befestigte Siedlung entstand dort 1701 unter dem französischen Entdecker Antoine de la Mothe Cadillac. Der Name könnte dem ein oder anderen ja aus einem anderen Kontext bekannt vorkommen. Autostadt eben.
Mitte des 18. Jahrhunderts gelang es britischen Truppen schließlich, die Kontrolle über die südliche Seenregion von den französischen Kolonialisten zu übernehmen. Zu dem Zeitpunkt wurde auch der Name der Stadt auf das heute noch übliche Detroit verkürzt. Lange freuen konnten sich die frischgebackenen britischen Machthaber über ihren Erfolg aber freilich nicht, denn wenige Jahrzehnte darauf begann auch schon der amerikanische Unabhängigkeitskrieg, als dessen Folge 1796 auch Detroit und seine Umgebung an den neuen amerikanischen Staat übergeben wurden. Es gehörte dann auch sofort zu den größten Siedlungen der westlichen Landesteile dieser neuen Republik, die nun erst langsam in Bundesstaaten umgewandelt wurden. Stolze 2.000 Einwohner zählte Detroit damals. Aber das würde sie schnell ändern.
Detroit, die Industrialisierung, Bevölkerungsboom und das Auto
Wo es bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Lage an strategischen Handelsnetzen war, die das Wachstum der Stadt befeuerte, war es bald die wachsende Industrie, die die Stadtentwicklung vor sich hertrieb. Das war letzten Endes auch der Grundstein, auf den Unternehmer später aufbauen konnten, um Detroit von der Industrie- zur Autostadt, zu Motown zu machen. Im späten 19. Jahrhundert waren es aber noch nicht die Autos, die die Wirtschaft der Region bestimmten. Es waren vielmehr die Chemie- und pharmazeutischen Hersteller einerseits und die Schwerindustrie andererseits, hier insbesondere in der Produktion von Öfen. Das alles änderte sich fast auf einen Schlag im Jahr 1903. Denn in diesem Jahr eröffnete Henry Ford seine erste Automobilfabrik in Detroit.
Natürlich war es nicht zwangsläufig, dass Henry Ford ausgerechnet Detroit als Basis für sein Unternehmen auswählte. Aber er stammte nun mal aus Michigan und die Stadt bot damals schon einige Chancen für Unternehmen wie seins. Es hatte sich dort in den Jahrzehnten vor Fords Niederlassung bereits eine starke Industrie herausgebildet. Viele Arbeiter waren dorthin gezogen, insbesondere auch aus Europa. Die Bevölkerung wuchs somit schnell, die Handelsverbindungen waren nach wie vor gut. Da bot sich Detroit dann doch einigermaßen an. Nach Fords ersten Erfolgen machten es ihm andere Autohersteller in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts auch schon sehr bald nach. Es folgten erst General Motors, dann etwas später Chrysler. Der Aufstieg Detroits zur Autostadt war somit spätestens in den 1920er-Jahren kaum noch aufzuhalten.
Die Bevölkerung entwickelte sich dementsprechend und das mit einer Geschwindigkeit, die man sich heute zumindest im Westen kaum noch vorstellen kann. Detroit war mit seinen fast 300.000 Einwohnern immerhin auch schon um 1900 eine für damalige Verhältnisse geradezu gigantische Stadt. Schon in den frühen Zwanzigerjahren übersprang sie die Millionenmarke, womit Detroit die viertgrößte Stadt der gesamten Vereinigten Staaten wurde. Nur New York, Chicago und Philadelphia waren noch größer. Nach dem Zweiten Weltkrieg erreichte die Bevölkerungszahl schließlich ihren historischen Höchststand von über 1,8 Millionen Menschen. Das war im Jahr 1950. Die Motor City boomte und es schien kein Ende des Wachstums in Sicht zu sein. Doch in Wirklichkeit begann in den Sechzigerjahren auch schon der Abstieg Detroits zur Geisterstadt, die sie heute in weiten Teilen ist.
… und was gibt’s in der Geisterstadt außer Autos so?
Der Faktor, der den phänomenalen Aufstieg seit dem frühen 20. Jahrhundert ermöglicht hatte, führte ab den Sechzigern auch zum Abstieg Detroits: die alles dominierende Macht der Automobilindustrie. Die aktuelle Lage in Detroit ist im Kern ebenso dieser Tatsache geschuldet, wie die vielen Krisen, durch die die Stadt und ihre Bewohner seit Jahrzehnten schon gehen mussten. Der Automarkt wuchs seit den Sechzigern nicht mehr im selben Ausmaß, wie er es seit den frühen Jahren des Jahrhunderts getan hatte – zumindest nicht für die großen drei, Ford, Chrysler und General Motors. Durch technologische Neuerungen wurden außerdem zunehmend Arbeitsplätze abgebaut und spätestens in den Siebzigerjahren kam die Konkurrenz durch japanische Autohersteller hinzu, die der amerikanischen Industrie und Detroit als ihrem Zentrum schwer zusetzten. Es stellte sich heraus, dass eine einzige große Industrie für eine Stadt eine gefährliche Strategie war.
Seit inzwischen sieben Jahrzehnten schrumpft die Bevölkerung Detroits nun. Aktuell sind von den einst 1,8 Millionen Menschen noch um die 650.000 übrig. Die Infrastruktur, Stadtplanung und die meisten Gebäude stammen derweil natürlich noch aus früheren Zeiten. Heute sind als logische Folge 35 Prozent des Stadtgebiets de-facto unbewohnt, Detroit droht nach und nach vollkommen zur Geisterstadt zu werden. Dazu trug auch die rassistische Segmentierung bei, die in Detroit ihre mit radikalste Ausprägung fand. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs waren noch 90 Prozent der Einwohner weiß, bis in den neuen Boomjahren der Nachkriegszeit zahlreiche schwarze Arbeiter hinzukamen. Viele der weißen Einwohner zog es als Resultat in die Vororte und schließlich ganz weg. Heute sind über 80 Prozent der Detroiter schwarz.
Aber gibt es Hoffnung für die Stadt? Selbst wenn noch vor sechs Jahren Insolvenz erklärt wurde, könnte es die tatsächlich geben! Die Arbeitslosenquote lag zum Beispiel vor zehn Jahren noch bei geradezu erdrückenden 27 Prozent. Seitdem sank sie auf deutlich unter 10 Prozent. Ob das an sich schon eine Trendwende darstellen kann, ist aber fraglich. Wobei das ja eigentlich ein Wunder ist. Detroit müsste doch nun wirklich ein El Dorado für Hippster aus dem ganzen Land sein. Massenhaft leerstehende Grundstücke, niedrige Miet- und Kaufpreise. Dass sie noch nicht in Scharen dorthin gezogen sind, ist da beinahe schon verwunderlich, wobei das angeblich doch langsam geschieht. Vielleicht ist es letzten Endes aber unmöglich. Vielleicht kann es die Motor City ohne ihre Autoindustrie gar nicht geben.
Diese Frage werden wir hier nicht mehr lösen. Auf dem Podcast spreche ich diese Woche in der Zwischenzeit aber ebenfalls über ein Thema, das eng mit Detroit verbunden ist. Es geht um das sagenhafte Leben der Auto-Legende John DeLorean. Durch die „Zurück in die Zukunft“-Filme wurde sein nach ihm benanntes Fahrzeug weltberühmt. Sein Leben war aber auch davor schon filmreif. Sogar eine Festnahme wegen Kokainschmuggels kommt da vor. Also hör rein!