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Der Stein von Scone: Geschichte eines Mythos

Der Stein von Scone im Thron

Eine Monarchie bringt bekanntlich eine Menge eigenartiger Traditionen und Bräuche mit sich. Lustige Adelstitel, absurde Verhaltensregeln und jede Menge repräsentative Zeremonien, bei denen man nur den Kopf schütteln kann. Das britische Königshaus ist für all das wie üblich ein gutes Beispiel. Die wohl wichtigste Tradition einer Monarchie wie der britischen ist dabei die Krönung eines neuen Monarchen. Und irgendwann wird auch die scheinbar endlose Regierungszeit von Königin Elisabeth zu Ende sein, dann werden wir diesen alten Brauch erneut live im Fernsehen mitverfolgen können. Neben allen möglichen Kronjuwelen und dem obligatorischen magischen Salbungsöl wird bei dieser Zeremonie auch ein hölzerner Thron eine zentrale Rolle spielen. Ein Thron, unter dessen Sitz ein massiver Stein eingearbeitet ist. Um genau diesen Stein soll es heute gehen. Man nennt ihn den Stein von Scone.

Doch obwohl der Stein von Scone in der Krönungszeremonie in London zu sehen sein wird, hat er mit England eigentlich kaum etwas zu tun. Dieser Stein, im Englischen als Stone of Scone oder auch Stone of Destiny bekannt, stammt nämlich vielmehr aus Schottland! Und der schottischen Nationalmythologie zufolge geht die Geschichte dieses einfachen Steins weit, weit zurück. Nein, nicht nur bis zum Anbeginn des schottischen Königreichs etwa … Das wäre ja geradezu vernünftig und zurückhaltend. Wir sprechen hier über nichts Geringeres als die Zeit des alten Testaments!

Ein Stein älter als die Zeit

Wenn wir nun versuchen, die Geschichte dieses bemerkenswerten Gegenstands nachzuvollziehen, werden wir schnell sehen, dass es hier um mehr geht als nur um einen einfachen Stein. Beginnen wir mit dieser Spurensuche doch beim Offensichtlichen. Der Stein von Scone trägt natürlich nicht zufällig diesen Namen. Er trägt seinen Namen, weil er bis ins Mittelalter in der Scone Abbey im Osten Schottlands aufbewahrt wurde. Dort wurde er als Krönungsstein der schottischen Herrscher genutzt. Das bedeutet, der zukünftige König Schottlands musste für seine Krönung zur Kapelle reisen, um sich auf dem Stein von Scone krönen zu lassen. Soweit ist die Geschichte ja recht nachvollziehbar. In der nationalen Mythologie Schottlands fängt die Sache aber nicht erst hier an.

Bei weitem nicht! Der Stone of Scone soll der schottischen Diktion zufolge vielmehr schon im früheren Mittelalter als Krönungsstein benutzt worden sein, da allerdings noch nicht in der Scone Abbey sondern im Westen Schottlands. Noch davor soll der Stein seinen Weg aus Irland an die schottische Westküste gefunden haben und noch viel früher reiste er bereits quer durch die antike Weltgeschichte. In Ägypten soll der Stein mal gewesen sein, davor selbstverständlich auch schon im Heiligen Land. Ja gar Jakob, einer der Erzväter des Judentums, soll schon auf dem Stein von Scone geschlafen oder ihn als Kopfkissen verwendet haben. Auch abgesehen von der eher fragwürdigen Bequemlichkeit dieses Kissens ist das eine einigermaßen abstruse Geschichte.

Immer diese verdammten Engländer!

Aber lassen wir diese wirren mythologischen Verklärungen des Steins für den Moment hinter uns. Wirklich interessant wird die Geschichte mit dem Ende des 13. Jahrhunderts. Da nämlich wurde der Stein von Scone gestohlen! Und wer könnte ein Interesse daran gehabt haben, einen Stein von den Schotten zu stehlen? Na klar, die Engländer! Im Jahr 1296 marschierte der englische König Edward I. – nicht ganz zufällig genannt „der Schottenhammer“ – bei seinen Nachbarn im Norden ein. Neben allen möglichen Gräueltaten, die man wunderbar im Film Braveheart nachvollziehen kann (natürlich ohne jegliche cinematografische Übertreibung) ließ der gute Edward bei dieser Gelegenheit auch die Scone Abbey angreifen, um den so wichtigen Krönungsstein der Schotten zu stehlen und mit nach London zu nehmen. Dort baute er ihn bald in einen Thron ein und schon Edwards Nachfolger wurde auf diesem neuen Thron zum König Englands gekrönt.

>Nun kann man sich vorstellen, dass die Schotten über diese Aktion nicht sonderlich erfreut waren. Über die Jahrhunderte wurde von schottischer Seite immer wieder versucht, den Stein von Scone zurückzuholen. Doch er blieb all die Jahre hinweg in London, sicher verwahrt und bewacht in der Westminster Abbey. Auch die Vereinigung Englands und Schottlands zum Vereinigten Königreich konnte an dieser Tatsache nichts ändern. Wobei nun aufgrund der Personalunion zumindest auch der schottische König wieder mit dem legendären alten Stone of Scone gekrönt wurde. Sicher ein schwacher Trost für nationalbewusste Schotten.

Wenn ein betrunkener Einfall zur Realität wird

Das alles änderte sich erst im Jahr 1950. Doch war es auch da bei weitem nicht so, dass die britische Regierung endlich beschlossen hätte, den blöden Stein doch endlich nach Schottland zurückzugeben. Vielmehr nahmen ein paar schottische Studenten die Sache selbst in die Hand. Diese vier Studenten der Glasgow University trafen sich – wie man das als Student eben so tut – recht regelmäßig in einem Pub in der Stadt. Dort diskutierten sie wohl so einige Themen, unter anderem auch Fragen von Politik und Nation. Sie verstanden sich allesamt als schottische Patrioten und beschlossen dann irgendwann, gemeinsam nach London zu fahren und den Stein von Scone nach Hause zurückzubringen. Es konnte doch nicht sein, dass dieses Symbol Schottlands in der weit entfernten englischen Hauptstadt vergammelte!

Diese Idee mag nach ein paar Pints im Pub zwar ganz gut geklungen haben, die meisten Menschen hätten den Irrsinn dieses Plans am nächsten Tag aber wohl erkannt und die Sache nicht weiter verfolgt. Aber nicht diese vier! Am Weihnachtstag 1950 stiegen sie tatsächlich in ihr Auto und machten sich auf den langen Weg in Richtung London. Und so unwahrscheinlich es klingt: Dort angekommen gelang es ihnen tatsächlich, unerkannt in die Westminster Abbey einzudringen, den 150 Kilo schweren Stein aus dem Thron zu heben, zum Auto zu tragen und damit in Richtung Norden zu verschwinden! Obwohl am nächsten Tag eine ausgewachsene Suchaktion nach dem verlorenen Stein gestartet wurde und Scotland Yard sich der Sache annahm, schafften es die vier, mit dem Stone of Scone im Gepäck Glasgow zu erreichen.

An diesem Punkt verlieren wir die Spur des Steins. Erst ganze vier Monate später erhielt Scotland Yard einen anonymen Hinweis. Der Standort des Steins wurde ihnen verraten und so konnte er letzten Endes zurück nach London gebracht werden. Nicht ganz unbeschädigt, sollte man dazu sagen. Die Studenten schienen den Stein von Scone in ihrer Aktion nämlich in zwei Teile gebrochen zu haben. Trotzdem kam seine Rettung gerade zur rechten Zeit, denn drei Jahre später musste immerhin Königin Elisabeth auf ihm gekrönt werden! Es dauerte dann nochmal über vierzig Jahre, doch 1996 – genau 700 Jahre nach dessen Diebstahl durch Edward I. – wurde der Stein von Scone offiziell an Schottland zurückgegeben und kann nun im Edinburgh Castle bewundert werden. Zumindest ist das die offizielle Version der Geschichte.>

Wo ist der echte Stein von Scone?

>Die Sache mit dem Stein ist nämlich gar nicht mal so einfach. Seit den 1950er-Jahren und seiner Rückkehr nach London brachen die Gerüchte um die Wahrheit um den Stein von Scone nicht ab. Angeblich sollen es die dieberischen Studenten selbst gewesen sein, die dem Scotland Yard den Tipp gegeben hatten. In den vier Monaten davor hatten sie aber freilich eine Kopie angefertigt, die sie nun dem Scotland Yard zuspielten. Der echte Stein von Scone soll währenddessen in Schottland geblieben sein, und zwar in genau der Bar, in der die vier ihren Plan ursprünglich ausgeheckt hatten. Und tatsächlich: In der Arlington Bar in Glasgow ist ein Stein zu sehen, auf den die Beschreibung genau passt. Andere sagen wiederum, der echte Stein wäre nach wie vor in Scone zu finden. Die Mönche der Abbey hätten Edwards Männern selbstverständlich auch nicht den echten Stein gegeben! Und siehe da: Auch dort findet man einen passenden Stein. Dieser steht direkt vor der Abbey, beschriftet als eine „Kopie“.

Doch letztendlich ist die Frage nach der Echtheit des Steins fast nebensächlich. Die Tatsache, dass diesem Gegenstand eine mehrtausendjährige Geschichte angedichtet wird und man sich seit Jahrhunderten um ihn streitet, ja ihn sogar aus einer hunderte Kilometer entfernten Kirche stiehlt, erzählt eine ganz andere Story. Der Stein von Scone wurde zum Symbol. Er wurde zum Symbol der schottischen Nation, die ihre Unabhängigkeit von London zu bewahren versuchte. Er wurde aber auch zum Symbol der britischen Monarchie selbst, die ihn als integralen Teil ihrer Krönungszeremonie ansieht. Und bei so vielen Verwicklungen, ist es letztendlich egal, ob der Stein von Scone echt ist. Wenn das die Gründe eines Streits sind, könnte man sich wirklich um alles streiten.

Dieser Artikel baut auf einen älteren Podcast auf, den du hier finden kannst. Da ich die Geschichte aber so gerne erzähle, wollte ich ihr auch noch diesen Artikel widmen. Daneben gibt es übrigens auch einen Spielfilm, der sich der Diebstahlaktion der Glasgower Studenten widmet, wenn das mehr deine Sache ist. Möchtest du nun aber noch mehr spannende Geschichten hören und lesen, möchte ich dir zum Abschluss den Déjà-vu Geschichte Newsletter ans Herz legen! Dort erhälst du alle zwei Wochen neue Geschichten direkt in dein E-Mail Postfach geliefert. Zum Start erzähle ich dir sogar eine kleine Willkommensgeschichte in mehreren Teilen. Werde Teil der Déjà-vu Community. Ich würde mich freuen, dich dort begrüßen zu können!

4 Gedanken zu „Der Stein von Scone: Geschichte eines Mythos“

  1. … sehr interessante Geschichte. Aber den Stein hat Edward der I. (Absatz 5) und nicht Edward III. (Absatz 9) 1296 gestohlen, der dann 1996 nach 700 (nicht 600) Jahren wieder zurück nach Schottland kam.
    LG

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