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Der Nordirlandkonflikt: eine unverschämt kurze Geschichte

Zwanzig Jahre ist es her, dass der Nordirlandkonflikt 1998 mit dem Good Friday Agreement zu seinem mehr oder weniger friedlichen Ende gelangte. Ein Konflikt, der über so viele Jahrhunderte gewachsen ist wie der Irlandkonflikt, kann aber freilich nicht ganz über Nacht verschwinden. Und siehe da. Mit dem Brexit fand sich Nordirland plötzlich doch wieder in den Schlagzeilen. Was passiert mit der inner-irischen Grenze nach dem Brexit? Wie wird er sich auf die Gesellschaft in Nordirland auswirken? Kommt gar die Gewalt zurück? Viele gewichtige Fragen, bei denen uns ein Blick in die Geschichte helfen kann. Hier ist sie also: Meine wirklich unverschämt kurze Geschichte des Nordirlandkonflikts.

Wie Irland zur ersten Kolonie Englands wurde

Zuerst kann man mal feststellen, dass sich die Geschichte Irlands doch grundlegend von der seines großen Nachbarn Englands unterscheidet. Und zwar fast von Anfang an. Im Gegensatz zum heutigen England wurde Irland nie von den Römern eingenommen und so konnten sich die keltischen Stammesgesellschaften der Antike dort um einiges stärker halten als im römischen Britannien. Die Römer nahmen Irland zwar nicht ein. Was sie aber schon taten, war ihre neueste Begeisterung dorthin zu exportieren: das Christentum! Unter anderem übernahm das berühmtermaßen ein gewisser Herr Patrick. Man dankt es ihm bis heute, indem man sich einmal jährlich literweise grün gefärbtes Bier in den Schädel kippt. Die Iren waren als Resultat dieser Anstrengungen schon im frühen Mittelalter so gute Christen, dass sie weite Teile des restlichen Europas als Missionare bereisten.

Nebenher blieben auch die irisch-keltischen Stämme auf der Insel nach wie vor bestehen. Sie vertrieben sich meist die Zeit damit, sich gegenseitig zu bekämpfen, wie man es auf einer kleinen Insel eben so macht. Dass das nicht unbedingt die klügste Strategie war, bemerkten sie wohl erst, als eines Tages die Wikinger am Horizont auftauchten und so einige Gemetzel an den Küsten Irlands veranstalteten. Damit begann im 8. und 9. Jahrhundert die lange Geschichte der irischen Kelten und ihres Rückzugs ins Landesinnere. Denn auch wenn die Wikinger Irland nie vollkommen eroberten, setzten sie sich beginnend von Nordirland und der Ostküste bald an allen Rändern des Landes fest. Den irischen Herrschern blieb das Landesinnere.

Der große Schicksalsschlag für Irland, der seine nächsten 800 Jahre bestimmen und auch den Nordirlandkonflikt letztlich vorbereiten würde, kam aber erst im 12. Jahrhundert. Die Wikinger waren gerade wieder abgereist oder hatten sich in die örtliche Bevölkerung integriert. Die Fürsten Irlands stritten währenddessen mal wieder sinnlos. Bei den beiden Streithälsen handelte es sich zu der Zeit um einen gewissen Dermot MacMurrough und einen Tiernan O’Rourke. Der Legende nach ging es in ihrem Streit um eine Frau, die Frau O’Rourkes, die MacMurrough gerne für sich gehabt hätte. Und wenn man jetzt die weitere Geschichte vor Augen hat, könnte man zynisch sagen, er hätte das lieber mal lassen sollten. Stattdessen zog MacMurrough aber an den Hof des englischen Königs Heinrich, um sich dessen Unterstützung gegen seinen Widersacher zu holen, welche er auch prompt erhielt. Mit ihm kamen dann bald die ersten englischen Normannen nach Irland und machten es sich dort gemütlich. Aber was macht das schon? Das wird sicher keine Schwierigkeiten mehr geben!

England und sein beginnendes Problem mit dem Katholizismus

Auf die Schnelle bedeutete das alles aber gar nicht so ein großes Problem für Irland. Die Normannen setzten sich in Irland erneut an den Küsten fest, wie es die Wikinger schon getan hatten. Allzu viel änderte sich dadurch nicht. Wirklich problematisch wurde die Sache erst im 16. Jahrhundert, als ein vollkommen geistesgestörter Mann, erneut mit dem Namen Heinrich, auf die Idee kam, sich von der katholischen Kirche loszusagen. Blöd war dabei nur, dass dieser Geistesgestörte der König Englands war. Nun gäbe es für seinen Bruch mit Rom zwar viele gute Gründe. Der von ihm gewählte war aber eher so mittel. Er wollte sich scheiden lassen und eine neue Frau heiraten. Die Libido hat in der Geschichte halt doch oft mehr Einfluss, als uns recht wäre. Dieser Heinrich VIII. kam nun irgendwann auf die Idee, Irland direkt der englischen Krone zu unterstellen. Er schuf dafür einfach ein irisches Königreich und machte sich selbst zu dessen König.

Das hatte durchaus strategische Gründe. Nach Heinrichs Bruch mit dem Papst blieben so gut wie alle Iren katholisch. Sogar die ursprünglich aus England und Wales eingewanderten Siedler zeigten wenig Interesse daran, es ihrem König gleichzutun und sich von der römischen Kirche loszusagen. Die Machthaber in London hatten Panik. Katholische Großmächte wie Spanien hatten es ja schon längere Zeit auf England abgesehen. Über das immer noch katholische Irland könnten sie nun einen Angriff starten! Um das zu verhindern, begannen im späten 16. Jahrhundert die sogenannten Plantations, die uns dem Nordirlandkonflikt geradezu im Galopptempo näherbringen. Heinrichs Nachfolger schickten in diesen Plantations einfach massenhaft Protestanten nach Irland, um dort das Land zu besiedeln. Was soll da auch schiefgehen?

Diese Idee mit den Plantations war den nachfolgenden englischen Königen auch nicht mehr auszureden. Jakob I. begann im frühen 17. Jahrhundert mit den systematischen Ulster Plantations. Immerhin herrschte für den Antikatholizismus gerade Hochkonjunktur! Nun wurden protestantische Engländer und Schotten ganz gezielt im Norden Irlands angesiedelt. Das brachte neben vielen offensichtlichen Folgen auch ein Detail der Geschichte mit sich, das im Konflikt in Nordirland immer wieder zum Thema wurde: den Status der Stadt Londonderry. Bis ins 17. Jahrhundert hieß die ja einfach nur Derry. Für katholische Iren ist das heute noch so. Im Jahr 1613 unterstellte Jakob die Stadt aber der Stadt London, die sie befestigen und Soldaten hinschicken sollte. Diese Symbolkraft der Stadt Derry spielte im Nordirlandkonflikt des 20. Jahrhunderts immer wieder eine Rolle. Der „Bloody Sunday“ von 1972 fand nicht ohne Grund genau dort statt. Die Tatsache, dass ausgerechnet der nervigste aller Iren darüber ein Lied schreiben musste, hilft bei der Tatsache auch nicht weiter.

Irland, Nordirland und der Weg ins Vereinigte Königreich

Viel besser wurde die soziale Lage Irlands durch die Plantations natürlich nicht. Nachdem 1641 wieder mal ein katholischer Aufstand in Nordirland ausgebrochen war und sich der englische König und das Parlament in Westminster bei der Frage der Kontrolle über die entsandte Armee überworfen hatten, folgte in England ein Bürgerkrieg. Der irische Adel stellte sich in dem Konflikt nach kurzem Zögern hinter den König. Den mochte man zwar nicht. Die Alternative des radikal-protestantischen Oliver Cromwell und seiner New Model Army war aber noch viel düsterer. Blöderweise für Irland gewann Cromwell aber den Bürgerkrieg und nachdem er erst mal den König enthaupten ließ, führte er gleich eine Strafexpedition gegen Irland durch. Er ließ dabei ganze Dörfer abschlachten, was ihm in manchen irischen Kreisen bis heute nicht vergeben wird. Die grüne Insel hat eben ein langes Gedächtnis.

Auch wenn die Phase der englischen Republik unter dem religiösen Hardliner Oliver Cromwell schon bald wieder vorbei war, blieb Irland auch in Zukunft im Zentrum des Konfliktes. In den 1680ern kam in England mit Jakob II. erneut ein Katholik an die Macht, was einige Abgeordnete dazu veranlasste, Wilhelm von Oranien aus den Niederlanden zu einer Invasion einzuladen und stattdessen ihn und seine Frau zum König zu machen. Und wo fand der große Kampf zwischen dem katholischen Jakob und protestantischen Wilhelm statt? Genau: In Irland. In der „Battle of the Boyne“ siegten die Kräfte des englischen Königs über die Katholiken um Jakob. Bis heute feiern besonders dumme, ähm … patriotische und unionistische Nordiren diesen Tag mit einer Parade, die im 20. Jahrhundert in regelmäßigen Abständen den schwelenden Nordirlandkonflikt anheizte.

Im Jahr 1801 war es den Königen Englands, beziehungsweise inzwischen Großbritanniens, dann endgültig zu blöd und Irland wurde offiziell zum Teil des Vereinigten Königreichs erklärt. Man hoffte damit, gerade in der Zeit der napoleonischen Kriege, Frieden in diesen ewigen Konfliktherd zu bringen. Immerhin hatte man anderswo Besseres zu tun. Nochmal knappe dreißig Jahre später waren die Machthaber in London sogar so großzügig, Katholiken wieder politische Rechte zu gewähren. Die Begeisterung in Irland hielt sich bei all dem trotzdem in Grenzen. Das könnte auch daran liegen, dass politische Rechte herzlich wenig brachten, wenn die Bewohner Irlands in Massen verhungerten oder zum Auswandern gezwungen waren, wie es in der „Potato Famine“ der 1840er-Jahre geschah. Als Resultat wuchs im Laufe des 19. Jahrhunderts eine immer stärker werdende irische Home Rule Bewegung heran und forderte ein irisches Parlament und Selbstbestimmung innerhalb des Vereinigten Königreichs.

Und alles ist verstrickt, im Nordirlandkonflikt

Nach ewigem Hin und Her schien es sogar kurz so, als könnte es tatsächlich zur irischen Home Rule kommen. 1912 wurde eine Home Rule Bill im britischen Parlament eingebracht und 1914 auch angenommen. Da hatte dann aber schon der Erste Weltkrieg begonnen und alle Pläne wurden erst recht wieder auf Eis gelegt. Einigen irischen Nationalisten platzte dann wohl der Kragen. Zu Ostern 1916 kam es in Dublin zum „Easter Rising“ gegen die britische Herrschaft, was die Machthaber mit Gewalt niederschlugen. Als der Krieg dann endlich gewonnen war, gewann die irisch-nationalistische Sinn Fein Partei auch noch 80 Prozent der irischen Stimmen in der nächsten britischen Parlamentswahl, weigerte sich aber, diese anzutreten, und gründete stattdessen ein irisches Parlament. Es folgten zweieinhalb Jahre irischer Unabhängigkeitskrieg. Denn viereinhalb Jahre Weltkrieg sind ja nicht genug.

Der Unabhängigkeitskrieg wurde letztendlich mit dem Anglo-Irischen Vertrag beendet, der die Insel endgültig in Nord und Süd teilte, dem Süden aber als Irischen Freistaat die Unabhängigkeit gab. Die irischen Nationalisten leisteten sich um diesen Vertrag dann auch noch einen Bürgerkrieg (denn viereinhalb Jahre Weltkrieg und zweieinhalb Jahre Unabhängigkeitskrieg reichen ja nicht), letzten Endes blieb es aber bei der Trennung. In Nordirland setzte im Laufe der nächsten Jahre zunehmende Segregation ein. Die Katholiken des Landes wurden isoliert, Kontakte zwischen den beiden Gruppen nahmen ab. Die Weichen für den Nordirlandkonflikt waren gestellt. In den 1960ern explodierte dieser dann. Es begann eine dreißigjährige Phase des Blutvergießens, die man im wohl englischsten Akt der Geschichte als „The Troubles“ in die Geschichte eingehen ließ. Ein verharmlosenderer Name war wohl einfach nicht zu finden. Erst 1998 wurde der Nordirlandkonflikt mit der Unterzeichnung des Good Friday Agreement dann beendet. Die Spirale der Gewalt konnte tatsächlich gebrochen werden. Ja und dann … dann kam der Brexit.

4 Gedanken zu „Der Nordirlandkonflikt: eine unverschämt kurze Geschichte“

  1. Also die Geschichte, wie die Engländer (in der Normannen-Zeit) nach Irland gekommen sind, erinnert schon an die Geschichte, wie die Angelsachsen nach Britanien gekommen sind. Hört sich irgendwie nach Rechtfertigung an: Was sollten wir machen? Wir sind zur Hilfe gerufen worden, also sind wir da mal hingefahren und geblieben…

    Ansonsten sollte mit Deinem Text jetzt mal klar geworden sein, dass es sich beim Nordirland-„Trouble“ nicht um einen konfessionellen Konflikt handelt, wie in den Religions-Kriegen des 16.- und 17. Jhrh. – was man ja glauben könnte, wenn man unbedarft die Nachrichten verfolgt…

    1. Stimmt, da gibt es tatsächlich gewisse Ähnlichkeiten! Der große Unterschied ist nur der, dass die Siedler (oder Eroberer, wie man es sehen will) aus einem mehr oder weniger kohärenten Reich kamen und nicht wie im Fall der Angeln und Sachsen aus zerstreuten Kleingruppen.

      Und der zweite Punkt: Nichts könnte wichtiger sein! Klar spielt die Konfession eine Rolle. Aber wie in fast allen Auseinandersetzungen, die oft als religiös motiviert dargestellt werden (siehe 30jähriger Krieg aber auch diverse Nahostkonflikte) ist die Lage viel komplexer. Religion ist da nur ein Faktor, der von verschiedenen Seiten geschickt genutzt wird.

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