Ach ja, Bitcoin und die Kryptowährungen … Die Zukunft ist angebrochen! Die Macht der Notenbanken ist ein für alle Mal gebrochen und bald brauchen wir gar keine staatliche Regulierung im Finanzwesen mehr! So oder zumindest so ähnlich wird die sich gerade abspielende Geschichte von Bitcoin Fans jedenfalls erzählt. Und auf den ersten Blick ist die Entwicklung hin zu Kryptowährungen ja wirklich revolutionär! Es kann jetzt quasi jeder seine eigene Währung ausgeben und damit in den internationalen Wettbewerb eintreten. Von Bitcoin, Ripple, Ethereum und Dogecoin bis hin zu Potcoin, Trumpcoin und Putincoin. Nichts ist zu blöd, um nicht doch irgendwie denkbar zu sein.
Doch auch wenn das alles furchtbar neu wirkt: Es gibt auch dafür Erfahrungen aus der Geschichte. Denn es gab bereits vorher Phasen, in denen eine große Zahl an Akteuren mit wenig bis kaum staatlicher Überwachung ihre eigenen Währungen in Umlauf bringen konnten. Das Ganze nannte sich Free Banking und war im 18. und 19. Jahrhundert in einer Reihe an Ländern Realität. Berühmt ist aber vor allem ein Beispiel: Schottland.
Free Banking, das Bitcoin der Neuzeit?
Ein großer Grund, warum es heute Kryptowährungen wie Bitcoin gibt, sind die Strukturen des Bankwesens. Entwickler und Anhänger von Kryptowährungen stören sich an der Macht der Regierungen und Notenbanken sowie am Einfluss von Banken generell und möchten den Zahlungsverkehr in die eigene Hand nehmen. Banken gehören aber auch zu den am stärksten überwachten Wirtschaftszweigen überhaupt. Kann es da wundern, dass einige Leute sich etwas davon erhoffen, diese Regulierungen zu umgehen? Ein Schelm, wer Böses denkt. Vor ein paar hundert Jahren sah die Sache aber auch schon mal ganz anders aus. Es waren damals die Banken selbst, die das Finanzsystem revolutionierten. Und was heute die Blockchain ist, hatte auch damals schon einen schillernden Namen: Free Banking.
>Im Free Banking werden Banken mehr oder weniger wie andere Unternehmen behandelt und unterliegen keinen besonderen staatlichen Regulierungen. Und ganz wichtig: Banken dürfen selbstständig Währungen ausgeben. Man kann sich die Idee wie ein libertäres Wonderland vorstellen. Jede Bank darf im Prinzip alles. Der Markt entscheidet dann, welche Währungen akzeptiert werden und dementsprechend überleben. Der Rest geht unter und diejenigen, die Reserven dieser gescheiterten Währungen halten, sind dann eben selber schuld. Das klingt für heutige Maßstäbe reichlich radikal, was ja auch erklärt, warum offenere Systeme wie Bitcoin noch recht kritisch gesehen werden. Dennoch war so ein System in der Vergangenheit bereits Realität, auch außerhalb der feuchten Träume einiger US-Republikaner. Unter anderem eben in Schottland.
Die Geschichte von Schottlands dezentralem Währungssystem
Die Episode des Free Banking in Schottland dauerte sogar eine ganze Weile lang an und war beim besten Willen kein kurzer Ausrutscher. Weit über hundert Jahre lang, von 1716 bis 1844 (wenn auch mit Unterbrechungen) unterlagen die Banken Schottlands keinen gesonderten Regulierungen. Es gab während dieses Zeitraums dann gleich drei große Banken, die eigene Währungen in Umlauf brachten. Neben der heute nicht mehr existierenden British Linen Bank waren das die immer noch aktive Bank of Scotland und die Royal Bank of Scotland. Diese drei hatten den großen Vorteil, dass sie mit Genehmigung der schottischen Regierung unter beschränkter Haftung agieren durften. Daneben waren aber noch weitere Banken an dem System beteiligt und emittierten ebenfalls ihre eigenen Währungen. Im Zweifelsfall durften deren Anteilseigner aber unbeschränkt mit dem eigenen Geld haften. Vielen war es das wert.
Mehrere Notenbanken mit mehreren Währungen in einem Staat. So ein System klingt jetzt erst mal reichlich instabil. Und das war es in vielerlei Hinsicht auch. So war es nicht ganz unüblich, dass die unterschiedlichen Banken ihre gegenseitigen Währungen horteten, um hin und wieder den Markt damit zu fluten und für schwankende Kurse zu sorgen. Andererseits hielten sich aber alle Banken an den Goldstandard, sodass ihr Geld prinzipiell in Gold umgetauscht werden konnte. Das sorgte natürlich für Glaubwürdigkeit und Vergleichbarkeit. Viele Banken akzeptierten obendrein das Geld ihrer Konkurrenz, was für noch weitere Akzeptanz sorge. Die Bevölkerung nahm das auf jeden Fall an und glaubte an den Wert der großen Währungen. Und die Tatsache, dass in den über hundert Jahren des Free Banking in Schottland kaum Banken in Konkurs gingen, galt auch für Forscher lange Zeit als Beweis, dass das System tatsächlich funktionierte.
Aber das Problem dabei war in Wirklichkeit ein ganz anderes. Einerseits sind wenige Bankpleiten nicht unbedingt ein Indikator für die Stabilität eines Wirtschaftssystems. Vielmehr wären Bankpleiten ja ein Anzeichen dafür, dass der Wettbewerb funktioniert und der Markt sich selbst reinigt. Insofern ist die „Stabilität“ der schottischen Banken im 18. und 19. Jahrhundert ungefähr so ermutigend wie die „Stabilität“ von Bitcoin, Ethereum und den ganzen anderen Kryptowährungen heutzutage. Die bestehen ja auch alle nach wie vor. Trotzdem wirst du nicht so schnell jemanden finden, der voller Überzeugung sein gesamtes Erspartes in Dogecoin angelegt hat. Hoffe ich zumindest.
Gar so frei war das alles auch in Schottland nicht
Aber damit hören die Probleme des Free Banking in Schottland noch nicht auf. Die Banken stützten ihre zahllosen Währungen zwar auf ihre Goldreserven. Voll gedeckt war das sich im Umlauf befindliche Geld durch dieses Gold aber freilich nicht. Und das zeigte sich auch irgendwann. Als im späten 18. Jahrhundert im Zuge der französischen Revolution und der napoleonischen Kriege ein erster großer Run auf die Banken einsetzte, weigerten sich die schottischen Banken schlicht, das Geld umzutauschen. Das war natürlich illegal! Das ganze System baute ja gerade auf diesen Goldstandard auf. Da die Regierung in London aber denselben Plan verfolgte, konnten sich die schottischen Banken bequem rechtfertigen. Das Ganze dauerte dann auch noch bis 1821 an. Über zwanzig Jahre lang konnten Besitzer schottischer Währungen ihr Geld also nicht in Gold umtauschen. Ich meine … Das war doch irgendwie die Grundidee des ganzen Systems, oder?
Ähnlich entwickelte sich die Sache auch in anderen Ländern, die angeblich zum Free Banking übergegangen waren. In Teilen der USA, in Kanada, Schweden, der Schweiz und noch einigen weiteren Staaten gab es so ähnliche Wirtschaftsmodelle. Die „Freiheit“ der Banken variierte dabei von Ort zu Ort, vollkommen frei waren sie aber nirgends. Alle unterlagen gewissen Regulierungen oder stützten sich, wie in Schottland, auf andere Akteure (in dem Fall der Bank of England). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, spätestens aber am Beginn des 20. Jahrhunderts, gingen dann schließlich all diese Länder zu einer zentralen Notenbank über. Teils sicherlich, um für mehr Stabilität auf den Märkten zu sorgen. Teils nur, um ihre Staatskassen einfacher mit frischem Geld zu versorgen. Eine eigene Notenpresse hat für Staaten nun mal so seine Vorteile.
Und wie passen Kryptowährungen ins Bild?
Mit dem Aufstieg der Kryptowährungen um Bitcoin und Co bekommen diese Notenbanken jetzt zum ersten Mal wieder ernsthafte Konkurrenz. Und die Funktion der Kryptowährungen ähnelt dabei der des Free Banking in vielen Punkten. Es geht immerhin darum, Währungen und letztlich das Finanzsystem breiter aufzustellen und zu dezentralisieren (demokratisieren, würden Anhänger von Kryptowährungen es wohl nennen). Aber kann so etwas funktionieren? Die historische Erfahrung aus der Free Banking Phase Schottlands und anderer Länder gibt uns dabei gemischte Signale. Einerseits lief das System ja irgendwie. Manche Experten (zugegebenermaßen nicht unbedingt die unabhängigsten) sehen darin sogar eine große Erfolgsgeschichte. Sie meinen, Schottland schaffte es durch sein Free Banking in hundert Jahren in seiner Wirtschaftskraft beinahe an England aufzuschließen.
Andererseits endeten alle Free Banking Systeme früher oder später. Zeitweise brachen sie auch zusammen, da die Banken die Deckung der Währungen nicht mehr gewährleisten konnten und Banknoten einfach nicht mehr eintauschten. Bitcoin und andere Digitalwährungen bringen aber noch mehr Schwierigkeiten mit sich. Im Vergleich zu ihnen hatte das Free Banking immerhin den Vorteil, dass die Banken damals ein echtes Interesse daran hatten, die Geldmenge konstant und den Wert ihrer Währungen damit stabil zu halten. Das funktioniert in einem Open-Source System wie bei den Kryptowährungen aber nicht.
Außerdem haben sich die Rahmenbedingungen, die zum Tod des Free Banking geführt hatten, kaum geändert. Schon vor über hundert Jahren hatten Staaten kein Interesse daran, Banken diese Freiheiten zu gewähren, wo doch eine Zentralbank eine so komfortable Geldquelle darstellt. Wie können wir annehmen, dass das bei Bitcoin und Co anders sein wird? Aja, und um überhaupt erst dorthin zu kommen, müssten Kryptowährungen auch erst mal zu echten Währungen werden. Also nicht nur ein Investmenttool für Hochrisikoanleger und Irre … Das wird sich noch zeigen müssen.
Was man nun aus der Sache lernen soll, kann man noch in meinem Beitrag nachlesen, in dem ich ein paar tiefere Gedanken dazu anstelle, was die Geschichte uns lehrt. Wir hören uns nächste Woche wieder im Podcast! Bis dahin, mach’s gut!