September ist in Bayern eine besondere Zeit. Spätestens ab den ersten Frühlingstagen reden die Leute hier üblicherweise schon über diese „Festzeit“ und wann sie denn nun endlich kommt. Ich habe das anfangs nicht verstanden und mir kam diese Obsession immer eigenartig vor. Inzwischen lebe ich aber doch seit über vier Jahren hier und ich muss sagen: Das Volks- und Oktoberfest-Fieber hat auch mich erreicht. Denn es gibt eben keinen schöneren Weg, den Herbst einzuleiten, als sich massenhaft (man beachte das Wortspiel) Bier hinter die Binde zu gießen und stundenlang „Ein Prosit“ zu grölen, da haben die Bayern schon recht. Dazu hat man jährlich ab Mitte August auf zahlreichen bayerischen Volksfesten die Gelegenheit, aber klar: Der Höhepunkt der Festzeit ist die Wiesn in München. Um dieses größte Volksfest der Welt zu feiern, schauen wir uns heute also mal Geschichte und Ursprung des Oktoberfests an. Das Ganze kann nämlich auf eine stolze Tradition zurückblicken und der Geschichte fehlt es auch nicht an Höhepunkten und Dramatik.
Warum feiern wir das Oktoberfest überhaupt?
… ist eine Frage, die sich die allerwenigsten Besucher der Wiesn stellen. Die Antwort ist doch offensichtlich: Um sich absurde Mengen an Bier die Kehle runterzukippen und am Heimweg auf den Bürgersteig zu kotzen natürlich! Aber das Oktoberfest früher und heute … Das sind dann doch zwei sehr unterschiedliche Dinge. Die Festlichkeit begann vor inzwischen über zweihundert Jahren ja noch keineswegs mit dem Bier. Noch viel schlimmer: Alkohol wurde ursprünglich noch nicht mal direkt auf der Wiesn ausgeschenkt! Denn immerhin war das erste Oktoberfest nichts anderes als eine Hochzeitsfeierlichkeit, da gebührt sich solche öffentliche Trunkenheit nicht! Die Hochzeit, um die es hier geht, war die zwischen dem bayerischen Kronprinzen Ludwig und Therese von Sachsen-Hildburghausen. Die heirateten am 12. Oktober 1810, was von allerlei Festen begleitet wurde, unter anderem von einem Pferderennen einige Tage nach der Hochzeit.
Solche Pferderennen gab es in ganz Europa zwar schon länger, zum Zeitpunkt der bayerischen „Royal Wedding“ von 1810 waren sie aber doch ein wenig außer Mode gekommen. Das soll aber freilich nicht heißen, dass die Leute von der Idee nicht begeistert gewesen wären, diese Tradition wieder aufleben zu lassen! Und außerdem hatte das Ganze nun auch einen leicht altertümlichen Touch, was in königlichen Kreisen ohnehin nie schaden kann. Auf Anraten eines Majors der bayerischen Nationalgarde wurde ein solches Rennen also schnell in die Hochzeitsfeierlichkeiten mit aufgenommen und am 17. Oktober 1810 ging das Rennen, das zum ersten Oktoberfest der Geschichte werden sollte, dann auf der Festwiese außerhalb Münchens über die Bühne. Daneben gab es auch noch kulturelles Rahmenprogramm, so wurde etwa zum ersten Mal eine Trachtenschau veranstaltet, eine andere scheinbare Konstante der bayerischen Kultur. Aber über die Geschichte der Tracht habe ich schon an anderer Stelle gesprochen.
Obwohl die Versorgungssituation der vielen auch bürgerlichen Gäste dieser ersten Wiesn durchwegs miserabel war und man bis zur Theresienhöhe gehen musste, nur um ein Bier oder – Gott bewahre – ein Glas Wein zu bekommen, kam das Fest im Volk gut an. Das ist aber wohl eher ein Zeichen dafür, wie schlecht die Unterhaltung zu der Zeit ansonsten war, als dass es uns viel über die Qualität des ersten Oktoberfests verrät. So oder so: Schnell fanden sich auch Leute, die sich bereiterklärten, im nächsten Jahr wieder eine ähnliche Feier zu organisieren. Konkret war das in den ersten Jahren der Landwirtschaftliche Verein in Bayern, was sicher für enormen Spaß gesorgt hat. Mit der Hochzeit des Vorjahres hatte das zwar nicht mehr viel zu tun, doch eine wichtige Konstante gibt es: Der Veranstaltungsort wurde nämlich schon bald zu Ehren der jungen Prinzessin unbenannt und deshalb feiern wir das Oktoberfest heute noch auf der Theresienwiese.
Die Wiesn auf dem Weg zum Großevent von heute
Der Landwirtschaftliche Verein hatte es ab dem Jahr 1811 zwar sicherlich vor, das Oktoberfest jedes Jahr zu veranstalten, gelungen ist das aber schon am Anfang nicht. Aber gut: Sie hatten es auch nicht leicht so mitten in den Napoleonischen Kriegen. Schon die vierte Ausgabe im Jahr 1813 musste aus diesem Grund entfallen, was in der Geschichte immer wieder vorkommen würde. Auch während des Preußisch-Österreichischen Krieges der 1860er-Jahre (warum auch immer das die Bayern interessieren hätte sollen) pausierte die Wiesn für ein Jahr, während des Preußisch-Französischen Krieges von 1870 wieder (was führen die Preußen auch so viel Krieg?!) und den gesamten Ersten und Zweiten Weltkrieg über blieb die Theresienwiese im Herbst genauso leer. Aber zumindest ließ sich schon früh ein neuer dauerhafter Veranstalter für das Oktoberfest finden, der das Fest zumindest in Friedenszeiten organisierte: Ab 1819 nahm die Stadt München das Fest unter ihre Fittiche. Sie tritt noch heute als Organisatorin auf.
Der Weg von den einfachen Ursprüngen hin zum Großevent von heute war aber freilich ein langer und würde erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts endgültig erfolgen. Bis dahin wuchs das Fest aber kontinuierlich an. Die ersten Fahrgeschäfte – beziehungsweise zumindest ein paar Karusselle und Schaukeln – gab es bereits in den frühesten Jahren, sie nahmen aber von Jahr zu Jahr zu und gegen Ende des Jahrhunderts finden wir auf der Wiesn die ersten elektronischen Fahrgeräte vor. Es wurde auch schon bald Bier in der Nähe des Geländes und ab den 1880ern auch auf dem Gelände, ausgeschenkt, allerdings nur an Ständen, noch nicht in den heute so bekannten Zelten. Mit dem Bau der Bavariastatue erhielt das Oktoberfest 1850 noch einen weiteren Prestige-Schub und den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts setzte es dann endgültig zum Sprung zum Großevent an.
Ein wichtiger Schritt war dabei sicher die Vorverlegung des Oktoberfests in den September, was bis heute für Verwirrung sorgt. Aber im September ist das Wetter eben deutlich besser als im Oktober, also kann man die Entscheidung schon nachvollziehen. In den 1890er-Jahren eröffneten dann schließlich die ersten Zelte und nur wenige Jahre darauf hielt schon das elektrische Licht Einzug, was die Saufstunden fast ohne Ende in die Länge zog. Spätestens jetzt sieht das Fest dem Oktoberfest von heute schon ziemlich ähnlich. In mancher Hinsicht waren die Ausmaße der Wiesn kurz vor dem Ersten Weltkrieg sogar größer als heutzutage! Die Besucherzahl mag insgesamt kleiner gewesen sein, das größte Zelt der Zeit, die Bräurosl, konnte im Jahr 1910 aber stolze 12.000 Menschen aufnehmen. Heute ist das Hofbräuzelt das größte der Wiesn, hat aber „nur“ Platz für knapp 10.000 und auch das nur, wenn man den Außenbereich hinzurechnet. Beinahe lächerlich also.
Weit weg vom Ursprung und doch nicht ganz so fern
Die weitere Geschichte des Oktoberfests im 20. Jahrhundert ist so turbulent wie die des Jahrhunderts selbst. Dass es sowohl im Ersten wie Zweiten Weltkrieg ausfiel, habe ich bereits erwähnt, aber auch die Hyperinflation der Zwanzigerjahre brachte eine Absage des Fests mit sich. Man kann nur vermuten, dass es einfach furchtbar aufwendig gewesen wäre, eine Maß um 125 Millionen Mark zu kassieren. Ab und zu hatte man aber doch Mitleid mit den durstigen Münchner Bürgern und organisierte zumindest ein Ersatz-Herbstfest. Auch was. Die Nazis benannten das Fest später in typischer Manier in „Großdeutsches Volksfest“ um, was aber keinen großen Unterschied machte, nachdem man sich ohnehin gleich in den nächsten Weltkrieg stürzte und das Fest wieder absagte. Seit 1949 findet das Oktoberfest nun aber regelmäßig statt und jedes Jahr fallen neue Rekorde. Mehr Besucher, mehr Hektoliter Bier, mehr verzehrte Hendl … Die Wiesn ist eine Erfolgsgeschichte und daran konnten auch große Rückschläge wie das Oktoberfestattentat von 1980 nichts ändern.
Die Geschichte des Oktoberfests geht also weit zurück. Einige der heutigen Traditionen sind aber nicht ganz so alt wie das Fest selbst. So war erst Thomas Wimmer im Jahr 1950 der erste Münchner Oberbürgermeister, der zur Eröffnung ein Bierfass anschlug und das berühmte „O’zapft is“ verlautbarte. Er hält aber nicht nur den Rekord, erster Bürgermeister zu sein, der ein Fass am Oktoberfest anschlug. Er hält auch den weniger beeindruckenden Rekord für die Anzahl der dazu benötigten Schläge. Bis zu 19 Mal musste der Mann auf das arme Fass eindreschen, bis endlich Bier aus ihm heraussprudelte. „Bis zu 19“ weil irgendwann keiner mehr zählen wollte, es war wohl einfach zu peinlich. Aber sei’s drum: O’zapft is! Und das ist in Bayern nach wie vor alles was zählt.
Die Wiesn ist sicher ein wichtiger Teil der bayerischen Kultur und nicht ohne Grund auch in der ganzen Welt bekannt. Aber die Geschichte Bayerns und des Biers geht noch viel tiefer. Einige Anekdoten aus dieser ganz besonderen Beziehungen erzähle ich diese Woche auf dem Podcast. Also hör rein!