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Das Oktoberfestattentat. Auf dem rechten Auge blind

Der Ort des Oktoberfestattentats an der Theresienwiese

Das Oktoberfest findet in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie bekanntlich nicht statt. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist 2020 damit das erste Jahr, in dem das Fest abgesagt werden musste. Das soll aber nicht heißen, dass es nicht schon früher einschneidende Momente gegeben hätte, in denen die Wiesn einer Schließung nahe war. Ein solcher Moment jährt sich in diesem Jahr zum 40. Mal: Das Oktoberfestattentat von 1980. Ein guter Grund, sich dieses Ereignis etwas näher anzuschauen. Was geschah damals, warum sind die Ermittlungen bis heute umstritten und was sagt uns das über das rechte Problem im Deutschland von heute? Spoiler: Leider erschreckend viel.

Terror in Deutschland bis 1980

Das Oktoberfestattentat von 1980 sollte zwar der schwerste terroristische Anschlag der deutschen Geschichte werden. Terror war im Deutschland und auch im München der Zeit aber beim besten Willen nicht unbekannt. Die Siebzigerjahre waren in der gesamten Bundesrepublik eine gewaltsame Zeit. 1972 ereignete sich in München etwa der Terroranschlag auf die israelische Mannschaft während der Olympischen Spiele. Das ganze Jahrzehnt über kam es bundesweit zu Morden und Anschlägen durch die RAF. Das bedeutete um das Jahr 1980 zwei Dinge: Erstens war politischer Terror in der damaligen BRD eine wohlbekannte Gefahr. Zweitens sah man diese Gefahr fast ausschließlich in linksextremen Kreisen. Das sollten wir im Hinterkopf behalten, wenn wir uns nun die Ereignisse um das Oktoberfestattentat in München anschauen.

Es war der 26. September 1980, ein Freitag. Das Oktoberfest war wie üblich gut besucht und alles war wie immer – bis kurz nach 22 Uhr. Da explodierte am Haupteingang zur Wiesn eine Bombe in einem Papierkorb und riss in ihrer unmittelbaren Nähe dreizehn Menschen sofort mit in den Tod. Im Umkreis von zig Metern verletzte sie weitere hunderte Passanten teils schwer. Einen Anschlag dieser Art und dieses Ausmaßes hatte es in der BRD noch nie gegeben. Die Zeit war dabei eine kritische und deutete von Anfang an auf einen politischen Hintergrund hin: Am 5. Oktober fanden Bundestagswahlen statt. Der Bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß trat als Kanzlerkandidat der CSU/CDU gegen Helmut Schmidt an. Teil von Strauß‘ Plattform war dabei der Kampf gegen linken Terror. Die politischen Reaktionen auf das Oktoberfestattentat sollten in diesem Kontext gesehen werden.

Wer stand hinter dem Oktoberfestattentat?

Diese Reaktionen waren aber erstmal verhalten. Die Wiesn wurde nur für einen Tag geschlossen und Strauß gab schon bald der Bundesregierung die Mitschuld an der Tragödie, um sich und seinen Wahlkampf vom Attentat zu distanzieren. Parallel begann die Aufarbeitung des Attentats durch eine Sonderkommission der bayerischen Polizei. Es dauerte dabei auch nicht lange, bis sie einen Verdächtigen präsentieren konnte: Einer der dreizehn Opfer der Explosion, ein junger Mann namens Gundolf Köhler, soll die Bombe gezündet haben. Der Mann war polizeilich bekannt. Er war in den Jahren zuvor im Umkreis der rechtsextremen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ aktiv gewesen. Diese Gruppe um den fränkischen Neonazi Karl-Heinz Hoffmann trainierte seit Mitte der Siebziger Guerillataktiken in Vorbereitung auf einen deutschen Bürgerkrieg und war erst im Frühjahr 1980 als verfassungsfeindlich verboten worden. Der Täter schien also glaubhaft.

An der Stelle fangen die offenen Fragen an den Ermittlungen aber auch schon an. Obwohl Hinweisen einer Mittäterschaft anderer ehemaliger Mitglieder der Wehrsportgruppe nachgegangen wurde, kamen die Ermittler zum Schluss, dass ihre Beteiligung am Oktoberfestattentat ausgeschlossen werden konnte. Gundolf Köhler soll ein Einzeltäter gewesen sein. Eine Schlussfolgerung, die seitdem immer wieder Anlass zur Kritik geboten hat. So gab es bereits im Rahmen der Untersuchungen von 1980 erste konkrete Hinweise auf weitere Täter. Zwei Zeugen wollen Köhler etwa eine halbe Stunde vor der Explosion mit zwei weiteren Männern streitend am Oktoberfesteingang gesehen haben. Beiden Zeugenaussagen wurde infolge aber nicht weiter nachgegangen. Auch Ermittlungen in der rechtsextremen Szene Deutschlands ergaben für die Ermittler keine neuen Zusammenhänge, obwohl sich erst noch zwei Mitglieder der Szene an die Ermittler gewandt hatten. Ende 1982 wurden die Ermittlungen zu den Akten gelegt. Gundolf Köhler war offiziell Einzeltäter.

Der BR-Journalist Ulrich Chaussy und neue Ermittlungen

Einige gaben sich damit aber nicht zufrieden. Der wohl bekannteste Kritiker der Ermittlungen um das Oktoberfestattentat wurde in den folgenden Jahrzehnten der BR-Journalist Ulrich Chaussy, der den Hinweisen auf weitere Täter nachging. Eine zentrale Unstimmigkeit betraf dabei eine abgetrennte Hand, die am Tatort gefunden, aber keinem der Toten zugeordnet werden konnte. Sie könnte von einem zweiten Attentäter stammen, der überlebte und fliehen konnte. Und tatsächlich konnte Chaussy dafür einige Inditien sammeln, wenn er auch keinen konkreten Beweis fand. Auch aufgrund von Chaussys Nachforschungen wurden die Ermittlungen um das Oktoberfestattentat dann 2014 erneut aufgerollt. Es wurden neue Zeugen vernommen, allerdings kamen die Ermittler auch dieses Mal zu keinen neuen Ergebnissen. Im Juli 2020 wurden die Ermittlungen wieder eingestellt.

Ob es tatsächlich weitere Hintermänner hinter dem Oktoberfestattentat gegeben hat, werden wir also wohl nie endgültig klären können. Wie viel daraus gelernt wurde, ist aber auch fraglich. Knapp zehn Jahre nach dem Attentat in München kam es in ganz Deutschland zu einer neuen Welle rechter Gewalt, insbesondere gegen Asylbewerberheime. Es folgten die NSU-Morde und zuletzt die Anschläge von Halle und Hanau neben vielen anderen mehr. Der Eindruck, dass das rechte Auge der Justiz noch immer schwächelt, will sich dabei nicht so recht auflösen. Immer neue Informationen über die Verbreitung rechtsextremer Ansichten in Teilen der Polizei tun ihr übriges. Vierzig Jahre Oktoberfestattentat sollte uns daher auch 2020 noch zu denken geben. Allzu weit scheinen wir in diesem Land seitdem nicht gekommen zu sein.

5 Gedanken zu „Das Oktoberfestattentat. Auf dem rechten Auge blind“

  1. Kleiner Hinweis zu einer passenden Veranstaltung am 29.9.2020 in Berlin: der Autor Chaussy und der Ex-BND-Präsident Schindler sprechen über dieses Theme im Spionagemuseum in Berlin

  2. Gundolf Köhler war zum Zeitpunkt des Attentats Student der Geologie/Paläontologie in Tübingen, wo übrigens auch die Wehrsportgruppe Hoffmann jahrelang ihr Unwesen getrieben hatte, bis man sich endlich zu deren Verbot aufraffen konnte. Ich war damals dort ebenfalls Studentin dieses Fachs und kann mich erinnern, daß die Polizei unsere Professoren kurz befragte, die sich an Gundolf Köhler aber nicht erinnern konnten. Das ging mir genauso, aber ich war ja etliche Semester weiter, so daß wir vermutlich nie die gleichen Veranstaltungen besucht haben.

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