Das Jahr 1918 gilt als einer der ganz großen Zeitpunkte der jüngeren Geschichte. Die Weichen für die moderne Welt wurden in genau diesem Jahr gestellt, als der Erste Weltkrieg, die oft so bezeichnete „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ zu Ende ging. In Europa ging mit ihm die Welt der großen Imperien zugrunde. Das Deutsche Reich, die Habsburgermonarchie, das russische Zarenreich … Sie alle waren plötzlich nicht mehr. Auf der anderen Seite des Atlantik steigen währenddessen die USA langsam zur neuen Großmacht auf. Europa und seine neuen Nationalstaaten geraten dagegen schon nach wenigen Jahren wieder in Konflikte, die bald im Zweiten Weltkrieg münden würden.
Was in dieser bekannten und schnellen Betrachtung aber verloren geht, sind die kleineren Entwicklungen und die einzelnen Akteure, die all diese großen Veränderungen überhaupt erst angetrieben haben. Genau diese möchte ich mir heute am Beispiel Deutschlands etwas näher anschauen. Denn auch hierzulande endete die Monarchie nicht einfach über Nacht und ging dann still-fröhlich in der Weimarer Republik auf. Und es hätte schließlich auch alles anders kommen können … Hätte es da nicht die Novemberrevolution 1918 gegeben, deren Folgen wir in vielerlei Hinsicht bis heute spüren.
Der Kieler Matrosenaufstand
Wenn man sich nun näher anschauen möchte, was denn genau die Novemberrevolution war, muss man sich zuerst vorstellen, in welchem Zustand Deutschland im November 1918 war. Die Lage war trist. Spätestens nach dem Sommer war den allermeisten klar, dass der Weltkrieg für das Deutsche Reich nicht mehr zu gewinnen war. Der Verbündete Bulgarien war schon ausgeschieden, die verbleibenden Partner Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich waren auch nicht gerade auf der Höhe ihrer Kraft und, achja … die deutsche Westfront war gerade durchbrochen worden! Das gepaart mit dem allgegenwärtigen Hunger, an dem man im Deutschland seit inzwischen vier Jahren litt, sorgte schon im Verlauf des Spätsommers für eine angespannte Stimmung. Seit Wochen kam es immer wieder zu Demonstrationen und Streiks in ganz Deutschland. Das Fass zum Überlaufen brachte aber schließlich ein Flottenbefehl der Obersten Marineleitung.
Ende Oktober nämlich entschloss sich diese Marineleitung dazu, einen letzten Angriff auf die britische Flotte durchzuführen. Der Krieg mag zwar ohnehin verloren gewesen sein, aber man konnte doch zumindest in Ehre untergehen – mag sich die Führung gedacht und das auch noch ziemlich wortwörtlich gemeint haben. Die betroffenen Matrosen in Wilhelmshaven waren von dieser Idee naturgemäß weniger begeistert und viele weigerten sich dann auch, Anker zu lichten. Irgendwann erkannte die Leitung, dass der Angriff so nicht stattfinden würde, und sie beorderte die Flotte zurück nach Kiel, wo aber einige Wortführer der Matrosen direkt nach Ankunft festgenommen wurden. Das war endgültig zu viel des Guten. Die Matrosen begannen zu revoltieren, schnell schlossen sich ihnen Kieler Arbeiter und sozialistische Parteien an und nach nur ein paar Tagen war Kiel unter Kontrolle der Demonstranten, die nun offen den Sturz des Kaisers forderten.
Doch die Ereignisse in Kiel waren bei weitem nicht das Ende der Geschichte. Diese erste große Revolte gegen das herrschende System Deutschlands war nur der Funke, der den Rest des Landes innerhalb kürzester Zeit in die Luft jagen würde. Nach dem 4. November, an dem Kiel endgültig in den Händen der Demonstranten war, weitete sich die Revolution nämlich über das ganze Land hinweg aus. Die Vorgehensweise war allerorts recht ähnlich. Die existierende kaiserliche Bürokratie wurde abgesägt (oder zumindest eiskalt ignoriert). An ihrer Stelle wurden dann Arbeiter- und Soldatenräte gewählt, die die Verwaltung übernehmen sollten. All das war kein Aufstand für ein Kriegsende oder eine Abdankung des Kaisers mehr. Der Schritt hin zu einer sozialistischen Revolution war an diesem Punkt kein großer, wie Russland nur ein Jahr zuvor ja gezeigt hatte.
Die alte Ordnung ist Geschichte. Und jetzt?
Es dauerte danach kaum drei Tage, bis der erste deutsche Fürst seinen Hut lassen musste. Der Ort ist dafür aber doch ein etwas überraschender. Ausgerechnet in München musste der Wittelsbacher König Ludwig III. am 7. November vor den revolutionären Massen fliehen, während in seiner prächtigen Hauptstadt der Bayerische Freistaat ausgerufen wurde. Über diesen Teil der Novemberrevolution, seine Ursachen und seinen Verlauf rede ich in der Podcast-Folge dieser Woche im Detail. Es verstrichen nochmal zwei Tage und die Revolution erreichte auch die Hauptstadt Berlin. Dort machten sich sogar gleich zwei Politiker daran, eine Deutsche Republik auszurufen, einmal der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann, einmal der Kommunist Karl Liebknecht. Die Regierung übernahm infolge aber Friedrich Ebert, der Vorsitzende der SPD, der auch noch bis 1925 Präsident bleiben sollte. Kaiser Wilhelm floh nach Ausrufung der Republik dagegen ehrenhaft wie immer vom Sitz des Generalstabs der Armee in Belgien in die Niederlande, wo er erst über zwanzig Jahre später sterben würde.
An der Stelle könnte man nun denken, die Sache wäre ja ganz gut gelaufen. Der Kaiser war nicht mal eine Woche nach Erfolg des Kieler Matrosenaufstands de-facto abgesetzt, die anderen Bundesfürsten auch, in Berlin gab es eine neue SPD-Regierung und Deutschland war jetzt eine Republik. Aber so einfach war die Sache eben nicht. Denn es war eben nicht so, dass die SPD und Ebert alleine die Novemberrevolution angeführt hätten. Innerhalb des linken Lagers gab es da noch ganz andere Akteure, die nun allesamt um ihren Einfluss kämpften. Offensichtlich war da noch dieser Karl Liebknecht, auf den wir noch zu sprechen kommen. Eine andere Gruppe waren die Unabhängigen Sozialdemokraten, die USPD, die nun Teil der Regierung Eberts wurde. Im Gegensatz zu den sogenannten „Mehrheitssozialdemokraten“ in der SPD (die Anspielung auf Bolschewiken und Menschewiken dürfte nicht ganz zufällig gewesen sein) war diese Partei einer parlamentarischen Republik aber weit weniger zugeneigt und wollte eher eine auf die neuen Räte aufbauende Staatsform sehen. Eine echte Räterepublik wie in Russland eben. Oder zumindest dachte man das damals noch.
Die Linken wären nun aber nicht die Linken, wenn es nicht auch noch Abspaltungen von den Abspaltungen gegeben hätte. Und so gab es selbstverständlich auch links der USPD noch Gruppierungen, die in dieser Novemberrevolution ihren Einfluss suchten. Die bedeutendste unter ihnen waren eben die sogenannten Spartakisten unter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die etwas später in der neu gegründeten KPD aufgehen würden. Dieser „Spartakusbund“ war nun im Gegensatz der USPD ganz eindeutig im revolutionär-marxistischen Lager verortet, der parlamentarischen Idee in keiner Form mehr verbunden und wollte den Staat und den Kapitalismus als Ganzes überwunden wissen. Man kann sich ja vorstellen, wie toll die Zusammenarbeit mit denen lief.
Die Novemberrevolution nach dem November
Der Name Novemberrevolution ist in dem Sinn also auch ein bisschen irreführend. Denn mit November 1918 war die Sache in Deutschland ja noch lange nicht gegessen. Ganz im Gegenteil sogar! Die Kämpfe über zukünftige Form und Aussehen des Deutschen Staates zogen sich noch bis weit in das Jahr 1919 hinein. Die Unstimmigkeiten zwischen den verschiedenen linken Parteien blieben in dieser Zeit ein ständiger Anlass für Reibereien. Und auch auf der bürgerlich-konservativen Gegenseite gründeten sich bald wieder die ersten Parteien, denen wieder an ganz anderer Staat vorschwebte. Nachdem am 11. November aber der Waffenstillstand im Ersten Weltkrieg in Kraft trat und der Kaiser am 28. November zurücktrat, trat erst mal etwas Stille ein. Also relativ zumindest.
Lange halten würde diese Stille freilich nicht. Nach blutigen Ausschreitungen um die Weihnachtsfeiertage herum heizte sich die Situation Anfang Januar wieder ganz gewaltig auf. In den frühen Januartagen erschienen über Tage hinweg hundertausende Demonstranten im Zentrum Berlins zu einem Generalstreik, ein Ereignis, das später als „Spartakusaufstand“ in die Geschichte ein, obwohl die Beteiligung des Spartakusbundes an all dem minimal gewesen sein dürfte. Die Demonstranten kamen aus allen Ecken des linken Lagers und waren sich beim besten Willen nicht in allen Detailfragen einig, die sie da skandierten. Dennoch stellte dieser Streik und die riesige Menschenmasse hinter ihm offen den Verlauf der Novemberrevolution infrage. Der Generalstreik zog sich eine ganze Woche lang hin. Letzten Endes blieb er aber wie alle anderen Versuche, eine stärker linksgerichtete Republik aufzubauen, erfolglos.
Ein wenig revolutionäres Ende für so eine Revolution
Bei diesem sogenannten Spartakusaufstand zeigte sich nämlich endgültig etwas, was die Zukunft der Novemberrevolution und der Republik Deutschland für die gesamte Zwischenkriegszeit prägen würde: Die SPD wollte eine kommunistisch dominierte Räterepublik um jeden Preis verhindern und war dazu auch bereit, mit gegenrevolutionären Kräften zusammenzuarbeiten. Der Generalstreik in Berlin wurde von der Regierung letzten Endes blutig niedergeschlagen. Und das ausgerechnet in Zusammenarbeit mit der Obersten Heeresleitung, einem ultrakonservativen Überbleibsel aus der Kaiserzeit, und meist ebenfalls weit rechts stehenden Freikorps. Sowohl Karl Liebknecht als auch Rosa Luxemburg wurden infolge dessen unter dubiosen Umständen ermordet. Später stellte sich heraus, dass wohl sowohl die SPD-Führung als auch die Heeresleitung in der Tat verwickelt waren.
In anderen Teilen Deutschland verlief die Novemberrevolution im weiteren Verlauf ganz ähnlich. Ende Januar wurde in Bremen eine versuchte Räterepublik gewaltsam niedergeschlagen, im April folgte der blutige Kampf gegen die Münchner Räterepublik, der Anfang Mai ebenfalls mithilfe der Freikorps zu Ende gebracht wurde. Nachdem Mitte Januar erstmals freie Wahlen abgehalten wurden (in denen übrigens auch Frauen zum ersten Mal wahlberechtigt waren), wurde Friedrich Ebert nun auch offiziell zum Reichspräsidenten. Allerdings regierte er in einer Koalition mit bürgerlichen Parteien, eine Konstante, die die gesamte Weimarer Zeit erhalten blieb. Eben diese Regierung verabschiedete im August 1919 auch die Weimarer Verfassung, womit Deutschland zu einer demokratischen Republik wurde. Von den Räten war nichts mehr zu hören und die Zersplitterung des linken Lagers blieb auf alle Ewigkeit hin erhalten. Wie die Geschichte weiterging, wissen wir auch.
Wie schon erwähnt, kannst du in der Podcast-Episode zu dieser Folge nun noch mehr über die Ereignisse in München und Bayern erfahren, wo die Novemberrevolution als erstes den Thron eines Königs forderte und wo mit der Räterepublik im April ein weiterer Höhepunkt erreicht wurde. Auch die werten Kollegen vom Zeitsprung Podcast haben sich diese Woche der Novemberrevolution gewidmet. Das hat man davon, wenn man sich an so offensichtlichen Jubiläen orientiert. Trotzdem kann ich dir die Folge dort nur ans Herz legen! Möchtest du noch mehr Geschichten hören, empfehle ich dir zum Abschluss noch den
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Ich glaube, das Handeln der SPD lässt sich unter dem Einfluss der Russischen Revolution ganz gut verstehen. Dort haben sich die Sozialdemokraten von den Kommunisten in einer zweiten Revolution die Macht wieder abnehmen lassen. Was folgte, war die Diktatur der Boschewiki und ein blutiger Bürgerkrieg. Das wollte man in Deutschland mit allen Mitteln verhindern. Die Frage ist, ob die Zusammenarbeit der SPD mit Ultrarechten Kreisen am Ende direkt zu Hitler geführt hat oder ob es dafür andere Gründe gab…
Da würde ich zustimmen. Zusätzlich scheint der Wille zum Kompromiss bzw. auch die Bekenntnis zum Parlamentarismus in der SPD der 1910er-Jahre recht verwurzelt gewesen zu sein. Von einer „echten“ Revolution sahen sich die Mehrheitssozialdemokraten eher bedroht, da sie ja der Meinung waren, in freien und fairen Wahlen haushoch gewinnen zu können. Das stellte sich in der Folgezeit nur als teilweise richtig heraus, da ja nur relative Mehrheiten möglich waren. Dass man sich das nicht von einer USPD im Zuge einer Revolution zunichte machen lassen wollte, ist trotzdem nur verständlich. Die USPD war, wie die Wahlen ja bald zeigten, eine unter 5%-Partei.
Die Frage der SPD-Zusammenarbeit mit Rechten ist natürlich eine schwierige. Der Partei und ihren Politikern damals direkte Schuld dafür zu zuzuschreiben, wäre aber meiner Meinung nach falsch. Im Kontext der Weimarer Republik und Wirtschaftskrise erschienen die Kompromisse und Koalitionen notwendig und das kann ich auch irgendwie nachvollziehen.