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Uniform und deutscher Sang. Pfadfinder und die Jugendbewegung

Kinder in Uniform, deutscher Sang, Gemeinschaft. Die Pfadfinder wirkten auf mich immer schon ein wenig merkwürdig, um nicht zu sagen ungeheuer. Gleichzeitig trifft man aber immer wieder ganz freundliche ehemalige Pfadfinder, die von ihrer Zeit dort schwärmen und auf mich so gar nicht wie völkische Kameraden wirken. Daher habe ich mir vorgenommen, mir die Sache heute etwas näher anzuschauen. Was machen die Pfadfinder eigentlich, warum tragen sie Kluft und Halstuch und warum wirken ihre Traditionen mitunter ein wenig … rechts? Ein Blick in die Geschichte wird es sicher aufklären.

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Wie sich herausstellt, liegt ein Grund für meine Wahrnehmung der Pfadfinder gar nicht so sehr in der Pfadfinderbewegung selbst. Tatsächlich spielten in Deutschland nämlich schon früher Vorgängerbewegungen eine große Rolle, die ihre Spuren in den heutigen Pfadfindern hinterlassen haben. Beim Blick in diese Geschichte landen wir etwa schnell bei der Lebensreform und schließlich bei der sogenannten Wandervogelbewegung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Diese Wandervögel waren Teil der größeren Reformbewegung der Zeit und drückten den Pfadfindern gewaltig ihren Stempel auf. Nicht unbedingt im Positiven, möchte ich meinen.

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12 Gedanken zu „Uniform und deutscher Sang. Pfadfinder und die Jugendbewegung“

  1. Hallo Ralf,
    wenn Du die Szene „Zelten, Feiern am Feuer und gemeinsam Singen“ mal als Basis nimmst … und das Altersspektrum nicht begrenzt … dann solltest du Dir die – riesige! – Szene der Reenactor, LARP’er, etc. mal ansehen. Außerdem gibt’s immer noch den CVJM (christlich) und die Falken (sozialistische Jungend).
    So beherrschend ist das Pfandfindertum in Deutschland m.E. nicht wirklich.
    Selber nie Pfadfinder gewesen (ähnliche Gründe wie bei Dir): Aber an einem Feuer mit einem Becher Rotwein in ner Theaterjurte zu sitzen und gemeinsam zu feiern ist schon nett 😉
    Ludwig

  2. Hallo Ralf,
    Ich fand deine Episode sehr interessant. Ich bin selbst seit mehreren Jahren bei den Pfadfindern und muss zugeben einiges von der deutschen Geschichte nicht gewusst zu haben… Bei den Pfadfindern selbst haben wir zwar auch viel über die Geschichte gelernt, aber eher den Gründer Baden Powell betreffend.
    Ich habe auch ein wenig Kontakt zu Pfadfinder aus anderen Ländern Europas (insbesondere Schweden und Belgien) und bei denen sieht es mit der Pfadfinderkultur tatsächlich ähnlich aus wie in Deutschland bezüglich der Lager.
    Unser Pfadfinder Verband ist sehr christlich evangelisch geprägt, weswegen die Lieder, die wir singen, auch teils kirchliche Lieder sind. Die restlichen Lieder sind sehr verschieden. Ein paar handeln von der Natur, welche wohl auf die Wandervogelbewegung zurückgehen könnten, andere haben sogar wohl einen noch früheren Geschichtlichen Ursprung. Keins dieser Lieder ist meiner Ansicht nach in irgendeiner Form fölkisch. Das einzige Lied, welches ich klar in der Geschichte einordnen kann ist „Moorsoldaten“, was du vielleicht auch kennst.
    Ich glaube die Pfadfinder sind in Deutschland eine Jugenorganistion, die einfach nur dafür dienen soll, den Kindern Gemeinschaft zu bieten und Austauschsmöglichkeiten zu schaffen, wie bei jedem anderen Hobby auch.
    Ich hoffe ich konnte dir mit meinen Kommentar einen hilfreichen Einblick in meine Sichtweise geben.
    Liebe Grüße
    Luna

    1. Hallo Luna! Danke für deinen Kommentar. Das mit der Geschichte wundert mich nicht. Die heutigen Pfadfinder in Deutschland beziehen sich ja auch zurecht auf Powell zurück. Die Wandervogelbewegung und die Bündische Jugend sind eher indirekte Einflüsse, die aber doch ihre Spuren hinterlassen haben. Ist aber schon was anderes 🙂

      Und ja, ich sehe das auch als Außenstehender inzwischen wie du. Hoffe das ist gegen Ende der Folge auch so rausgekommen!

  3. Ich war in den 1980/90er Jahren bei den Pfadfindern und würde daher deinen Vorurteilen gerne ein bisschen widersprechen.

    „Deutschen Sang“ habe ich bei uns nie gehört. Die Gruppe (bei der DPSG in Amberg) war eher fest in der Hand von langhaarigen Heavy-Metal-Typen, die selbst beim Lagerfeuer oder auf der Hütte immer einen Ghettoblaster mit Metallica und so dabei hatten. Marschiert sind wir eigentlich auch nie, selbst zum Zeltlager haben uns die Eltern gefahren. Obwohl, in Frankreich sind wir mal ein paar Tage die Küste entlang spaziert (auch da gingen dem Ghettoblaster leider nicht die Batterien aus). Dort waren wir auf Einladung der französischen Pfadfinder, um bei der Waldbrandbekämpfung mitzuhelfen. Das war cool. Danach gab es zur Belohnung Segeln, Tauchen, Klettern und eben die Wanderung durch die Calanques, mit waghalsigen Sprüngen von den Klippen. Internationale Zusammenarbeit und Völkerverständigung war für uns selbstverständlich. Die kleine deutsche Flagge auf der Kluft diente wirklich nur der Erkennbarkeit bei internationalen Treffen, aber nie habe ich irgendwelchen Nationalismus oder so verspürt. (Wäre ja eigentlich auch komisch bei einer Organisation, die es in fast jedem Land der Welt gibt.)

    Genauso offen waren die nominell katholischen Pfadfinder der DPSG auch gegenüber mir als Atheisten, gegenüber protestantischen Mitgliedern und gegenüber den (wahrscheinlich muslimischen) türkischen Mitgliedern. Und das war, wie gesagt, schon in den 1980/90ern in einer bayerischen Kleinstadt. Obwohl unsere wöchentlichen Treffen in den Räumen der Kirche stattfanden, kann ich mich an kein einziges Mal erinnern, wo es um Religion ging, wo gebetet wurde oder wo auch nur ein Pfarrer vorbeischaute. Das war wesentlich säkularer als jede Schule in Bayern.

    Man läuft übrigens auch nicht immer mit der Kluft herum, sondern eigentlich nur im Zeltlager. Und nur das Hemd und das Halstuch sind einheitlich, ansonsten trug jeder, was er wollte. Jeder Fußballverein ist uniformierter. Sogar die Kleidung in manchen Studiengängen (zB Jura, BWL) ist uniformierter. 😉 Ansonsten war das eher so Jugendclub-Atmosphäre. Die meiste Zeit haben wir Billard gespielt.

    Und das alles war immer gemischt, mit Mädchen und Jungs in der gleichen Gruppe, zusammen im Zeltlager.

    Ich verstehe die instinktive Reaktion, wenn man junge Menschen in so etwas wie einer Uniform sieht. Aber bei den kontemporären deutschen Pfadfindern würde ich mir da keine Sorgen machen. (Vor einem Jahr sah ich mal eine polnische Pfadfindergruppe in Wien, die traten hingegen viel uniformierter/militärischer auf, auch mit Fahne – so etwas hätten wir nie rumgetragen.)

    1. Danke für deinen Input! Ich lerne ständig mehr über diese komischen Pfadfinder 😉 Aber ich hoffe, gegen Ende der Episode kam die Reflexion auch bei den Hörer*innen an. Ich bin ja doch ziemlich versöhnlich aus der Sache rausgegangen. Aber neue Details schaden natürlich trotzdem nie

  4. Hallo Ralf,

    vielen Dank für den informativen Podcast!! Ich freue mich immer, wenn das Thema mal (populär-)wissenschaftlich aufgegriffen wird und ich mich mit Interessierten mal austauschen kann. Mir ist natürlich klar, dass man in einem 30minütigen Podcast nicht jede Facette thematisch behandeln kann/soll und alles möglichst verständlich für die breite Masse und prägnant darstellen muss! Ich möchte dir deshalb gern auf diesem Weg noch ein paar Anmerkungen da lassen, die dich (und andere) eventuell interessieren könnten. Bitte als Anregungen verstehen und nicht als Klugscheißerei 😉

    Zu Begrifflichkeiten:
    – Den Begriff „völkisch“ gebrauchst du hier für verschiedene Zeitabschnitt deutscher Geschichte, er ist jedoch mehr als facettenreich und sollte im historischen Rückblick eher nicht inflationär verwendet werden (Merkmale wie Antisemitismus und Antifeminismus wären beispielsweise nicht einwandfrei der frühen deutschen PfadfinderInnenbewegung zuzuordnen)
    (für einen sehr guten Überblick hier ein Artikel vom Experten Uwe Puschner: https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/230022/die-voelkische-bewegung)
    – Girl Scouts (!) gibt es meines Wissens nach tatsächlich nur in Amerika, die britische Ursprungsvariante sind die Girl Guides/ das Girl Guiding (die unterschiedliche Namensgebung hat u.a. mit den emanzipatorischen Bestrebungen der amerikanischen Gründerin Juliette Low zu tun; hierzu: Tedesco, Lauren: Making a girl into a Scout. Americanizing Scouting for girls, in: Inness, Sherrie A.: Delinquents and Debutants, Twentieth-Century American Girls` Cuture, New York 1998, S.19-39)
    – Durch das Ablegen sogenannter Pfadfinderproben erlangten die Scouts und Guides ihre „badges“, was im deutschen Raum als „(Pfadfinder-)Abzeichen“ betitelt wird – völlig korrekt von dir so benannt. Allerdings waren sie im deutschsprachigen Raum keine sehr beliebte Praxis, da zu pompös/selbstdarstellerisch/militaristisch anmutend (später eher noch bei den konfessionellen Bünden beliebt, wie der heutigen DPSG, deren Kluften meist voll davon sind, wenn ich da richtig im Bilde bin)

    Vorweg sollte man noch deutlich hervorheben, dass du hier hauptsächlich die Geschichte der männlichen Pfadfinderei / des männlichen Scouting beschreibst. Hier gäbe es stellenweise noch eklatante Unterschiede zu den Mädchen/Frauen, die man unbedingt hervorheben und betonen müsste! Ich äußere mich also im folgenden hauptsächlich zu der „männlichen“ Geschichte. (und auch die Geschichte der konfessionellen Pfadfinderei muss hier ausgelassen werden)

    Zu den Anfängen der britischen Pfadfinderbewegung:
    – Mir missfällt ein wenig, dass du die Konzeption der Scout/Guideerziehung hauptsächlich auf Erfahrungen Baden-Powells zurückführst, tatsächlich hat er diese nicht nur aus dem militärischen Kontext geschöpft
    – Wichtig war in diesem Zusammenhang u.a. der Einbezug zeitgenössischer pädagogischer Diskurse (Granville Stanley Hall, Maria Montessori, Charles Stelzle), die u.a. das Jugendalter erstmals als prägende gesonderte Lebensphase wahrnahmen und beschrieben
    (guter Aufsatz hierzu: Dedman, Martin: Baden-Powell, Militarism and the “Invisible Contributors” to the Boy Scout Scheme 1904-1920, in: Twentieth Century British History, 4, Oxford 1993, S.201-223.)
    – Auch bediente er sich bei bereits existierenden Strömungen der „Jugendarbeit“ wie beispielsweise der vom Naturforscher Ernest Thompson Setons entwickelten „Woodcraft Indians“ (basierend auf dem Konzept der Woodcraft-Bewegung/kurze: Überlebenstechniken in freier Natur)
    – Also die Entstehungshintergründe sind hier weitaus vielfältiger als bei dir angegeben. Hier spielen vielschichtigen zeitgenössischen Diskurse mit hinein, wie eben die neuartige Bedeutsamkeit der Adoleszensphase, empfundene moralische und physische Degeneration der Bevölkerung (hast du ja im Zusammenhang mit der Hinwendung zu Natur und Anti-Industrialisierung genannt), Debatten über geschlechterkonformes Verhalten (hier besonders Angst vor einer Feminisierung, man bedenke es war die Zeit der ersten Frauenbewegung), sozialdarwinistische Diskurse über „whiteness“ und „racial suicide“. Man merkt, dies alles natürlich im Hinblick auf die nationale „Volksgesundheit“, die für den imperialen Wettstreit unabdingbar war.

    Zu den Anfängen der deutschen Pfadfinderbewegung:
    – Ich bin nicht damit einverstanden, dass du die Wandervogelbewegung als „Vorläufer“ der deutschen männlichen Pfadfinderbewegung bezeichnest (hier macht sich dann doch die unterschiedliche geschlechtergeprägte Geschichte bemerkbar: tatsächlich haben hier die ersten Pfadfinderinnengruppen einen großen Anteil von Wandervogelpraktiken übernommen, eben, weil diese damals gesellschaftlich „geschlechtskonform“ waren)
    – Es mag durchaus Experimente mit Aspekten des Scouting/Guiding in vielen Jugendverbänden/bünden dieser Zeit (u.a. im CVJM) gegeben haben
    – Mit dieser Darstellungsweise unterschlägst du aber die gesamte Geschichte des ersten offiziellen Deutschen Pfadfinderbundes (DPB), der in Deutschland im rein militärischen Kontext entstand (Schubert-Weller, Christoph: So begann es. Scouting als vormilitärische Erziehung, Baunach 1988 sowie ders.: „Kein schönrer Tod…“ Die Militarisierung der männlichen Jugend und ihr Einsatz im Ersten Weltkrieg 1890-1918, Weinheim/München 1998). Hier ging es dann nicht um eine pädagogische altersentsprechende Erziehung jugendlicher und die Motivation zur Selbstständigkeit, sondern letztendlich um die totale Kontrolle der Jugend durch Erwachsene (hauptsächlich Militärangehörige) im Sinne einer vormilitärischen Erziehung
    – Dies bildete einen klaren Kontrast zu den sich bewusst „nonkonform“ gebenden Wandervögeln, die übrigens größtenteils eine Aversion gegen eben diese militärisch geprägten Pfadfinder hegten
    (Hermann, Ulrich: „Fahrt“ oder „Camp“ – Wandervogel und Scout. Distanz und Nähe zweier Jugendkulturen vor dem Ersten Weltkrieg, in: Historische Jugendforschung, Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung, Hundert Jahre Pfadfinden, Schwalbach 2010, S.13-27)
    – Diese militärische Dimension des Pfadfindens so wie es im Deutschen Kaiserreich praktiziert wurde erreicht m.E. nicht einmal das militärisch anmutende Ursprungskonzept von B.P. (der Grad des Militarismus ist hier übrigens ein sehr beliebter Streitpunkt unter (Pfadfinder-)Historikern und höchst umstritten)
    – Die Ursprungsversion, die der Militärarzt Alexander Lion und der Hauptmann Maximilian Bayer (dienten auch im Burenkrieg in Afrika) nach Deutschland „importierten“, wies in ihrer Anfangsphase weitaus mehr koloniale Elemente (im Sinne von kolonialen Abenteuerwelten, die auf Jugendliche zugeschnitten waren) auf, die später zugunsten einer rein nationalen militaristischen Erziehung getilgt wurden. Lion war hier letztendlich dazu gezwungen, Änderungen vorzunehmen, um Unterstützung aus einflussreichen Kreisen für die Bewegung zu bekommen. (die Anglophobie war in weiten Bevölkerungsteilen einfach zu verbreitet, den Deutschen fehlte hierfür auch einfach eine lange koloniale Tradition und dementsprechend das ausgeprägte Selbstverständnis als Kolonialreich sowie es Großbritannien besaß)

    Deutsche Pfadfinderei in der Bündischen Jugendbewegung:
    – Du erwähnst, dass es jetzt „echte“ Pfadfinder gibt, die die „Ideen B.P.s“ aufnehmen, inklusive des Internationalismus
    – Das ist viel zu vereinfacht dargestellt angesichts der enormen pfadfinderischen Vielfalt der Gruppen innerhalb der Bündischen Jugendbewegung
    – Hier gab es nun heftige Auseinandersetzungen innerhalb der Bewegung, die sich eben gegen jenen Ursprungs-DPB richteten
    – Es wurde nun der starke Militarismus angeklagt, sowie die elitären und autoritären Führungsstrukturen (gerade hier ist es eben wichtig in diesem Zusammenhang die Vorgeschichte des DPB unbedingt zu erwähnen!)
    – Es entstanden Abspaltungen wie die Neudeutschen Pfadfinder oder die Ringgemeinschaft deutsche Pfadfinder (aber auch diese verstanden „B.P.s“ pädagogische Ansätze bei Weitem nicht und konzentrierten sich größtenteils auf jugendbewegt-bündische Ideale von einem „Jugendreich“, einer „Führer-Gefolgschaft-Gemeinschaft“ oder einer „Elite“, die volksverändernd wirkt – alles sehr vereinfacht dargestellt, hier sei auf den nächsten Literaturtipp verwiesen)
    – Du sagst, du stellst den Großteil der Bündischen Jugendbewegung ins „rechte Eck“; dazu darfst du sehr gern stehen und die Forschung gibt dir hier auch eindeutig recht! (Ahrens, Rüdiger: Bündische Jugend. Eine neue Geschichte 1918-1933, Göttingen 2015; Ahrens ordnet die Bündische Jugendbewegung hier einem „nationalen Lager“ zu und unternimmt hier auch detailreiche Abstufungen der „Republik-Feindschaft bzw. -Offenheit“ der einzelnen Bünde

    Pfadfinderbewegung und NS
    – Die Geschwister Scholl entstammen tatsächlich keiner „rein“ pfadfinderischen Traditionslinie, sondern einer durch und durch jugendbewegt-bündischen: der d.j.1.11 (gegründet von Eberhard Koebel (Fahrtenname „tusk))
    – Ein besseres Beispiel im Zusammenhang mit pfadfinderischer Widerstandsgeschichte wäre die Reichsschaft Deutscher Pfadfinder gewesen (Hellfeld, Matthias von: Bündische Jugend und Hitlerjugend. Zur Geschichte von Anpassung und Widerstand 1930-1939, S.138-139 sowie mit weiteren Illustrationen zum pfadfinderischen Widerstand Klönne, Arno: Pfadfinder im Dritten Reich. Anpassung, Verweigerung, Opposition, in: Historische Jugendforschung. Jahrbuch des Archivs der Jugendbewegung. Hundert Jahre Pfadfinden, Schwalbach 2010, S.106-111)
    – Auch Graf von Stauffenberg war Mitglied bei den Neudeutschen Pfadfindern, wo wir beim „prominenterem“ Widerstand wären
    – Ich finde es übrigens sehr schön, wie differenziert du die Facetten von Widerstand, Unterstützung und Anpassung im Bezug auf den NS im jugendbewegt-bündischen Spektrum darstellst!!

    Pfadfinder nach dem Zweiten Weltkrieg:
    – Hier könnte ich jetzt „Romane“ schreiben, weil das mein Spezialgebiet ist, aber vielleicht nur kurz zu deinen Formulierungen, warum es jetzt in die internationale Richtung geht: alte Bündnisse existieren nicht mehr, die Szene ist kleiner geworden, es hat irgendwie gepasst (ganz grob paraphrasiert)
    – Die deutschen Bünde haben sich in diese Richtung entwickelt, da sie das der maßgeblichen Unterstützung (und ja, stellenweise auch Lenkung) der globalen Organisationen WOSM und WAGGGS zu verdanken haben, die den westlichen (!) Besatzungsmächten beratend zur Seite standen (auch wenn es hier aufgrund der unterschiedlichen Besatzungspolitik in den Zonen wieder mannigfaltige Unterschiede gibt und man u.a. deshalb mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert war)
    – Verhindert werden sollten: 1. Eine erneute Zersplitterung des deutschen Pfadfindertums (Spoiler: passierte auf männlicher Ebene trotzdem), 2. Die Hinwendung zu nazistischem/radikal-nationalistischem und militaristischem Gedankengut (hier hinterließ der Ursprungs DPB und sein Einsatz im Ersten Weltkrieg – den hab ich jetzt aufgrund der Menge an Infos noch völlig unterschlagen – noch 30 später ihren bleibenden Eindruck auf internationaler Ebene!), 3. Auf die Mädchen und Frauen bezogen: eine Abhängigkeit von den neuen Männerbünden
    – Gefördert werden sollte: Die Ausbildung von PfadfinderführerInnen nach internationalen Richtlinien und Maßstäben mit dem Ziel der Aufnahme in die internationale Scout- und Guidegemeinschaft
    – Dies glückte allerdings nur beim zukünftigen Mädchenbund dem Bund Deutscher Pfadfinderinnen (BDPw), der von Beginn an strikt international ausgerichtet war (fun fact: die Tradition des Thinking Days innerhalb des deutschen Pfadfinderraumes wurde vom Bund Deutscher Pfadfinderinnen tradiert, als dieser 1976 mit dem Bund der Pfadfinder (BdP,) fusionierte, also hier nochmal ein „weiblicher“ Beitrag zur deutschen Pfadfindergeschichte)
    – Der neu gegründete Jungenbund Bund Deutscher Pfadfinder (BDPm) hingegen stellte ein Auffangbecken für Mitglieder verschiedenster ehemaliger jugendbewegt-bündischer Abstammung dar (die deutsche männliche Pfadfinderei wurde hier erstmals nach Weimar wieder zentralisiert!)
    – Du kannst dir also vorstellen, was für „Zündstoff“ für ideologische Auseinandersetzungen nun vorhanden war, der seine Wirkung entfaltete (sehr grob umschrieben standen sich hier die Seiten „jugendbewegt-bündisch“ und „scoutistisch“ gegenüber)
    – Erstere Richtung rückte vor allem durch die 68er-Bewegung vermehrt in den Hintergrund (der Prozess setzte aber schon Jahre vorher ein)
    – Anstatt der Wandervogelbewegung/der Bündischen Jugendbewegungen in der Folgezeit einen „indirekten Einfluss“ zu attestieren, würde ich hier die treffendere Umschreibung „ästhetisch-kultureller Residuen“ verwenden, deren Ursprung in Großteilen meist unbekannt ist, aber durch Anlaufstellen wie das Archiv der deutschen Jugendbewegung und entsprechende Literatur sehr gut recherchiert werden kann 🙂
    – Du siehst also mit dem „es hat irgendwie gepasst“ ist der Sache noch lange nicht Genüge getan, aber vielleicht hast du ja Lust und Muße, das Thema irgendwann mal weiterzuverfolgen, da gibt es noch sehr viele spannende Aspekte!!

    Ich hoffe, ich habe dich hiermit nicht zu sehr gequält und es war wenigstens etwas informativ! Vielen herzlichen Dank nochmal für den Podcast, ich wird bestimmt öfter mal reinhören (ohne dann so ausführlich zu kommentieren :-D)

    Viele Grüße

    1. Oh, wow. Danke für den vielen Input! Ohne jetzt auf alles eingehen zu können, hast du da vieles angesprochen, was mir entweder zeitlich nicht möglich war oder ich schlicht übersehen habe. Vor allem der Genderaspekt ist sehr angebracht – da hätte ich stärker drauf eingehen müssen. Aber zum Glück hast du ja jetzt mal zumindest ein paar Punkte klargestellt 🙂

  5. Beim Hören dieser Episode und dem Lesen der bisherigen Kommentare kamen mir folgende Gedanken:
    Ich erinnere mich, dass Mitte der 1990er, als ich zu den Pfadfindern kam, die Betreuer „Führer“ genannt wurden und es dann nach wenigen Jahren plötzlich hieß, das dürfe nicht mehr gesagt werden und die müssten nun „Leiter“ genannt werden. Den Hintergrund verstand ich damals nicht und empfand es auch nicht problematisch.
    Mein damaliges Lieblingslied aus der Pfadfinderzeit „Negeraufstand ist in Kuba“ würde ich mittlerweile dort nicht mehr (und schon gar nicht regelmäßig bei quasi jedem Lagerfeuer gesungen) finden wollen. Es würde mich aber nicht wundern, wenn es weiterhin im verwendeten Liederbuch steht.
    Mit der Zeit empfand ich es als erst in meinem Katholischsein wankend und später als Atheist als ausgrenzend, dass mit einem der 8 Schwerpunkte der Pfadfinder, nämlich mit „Leben aus dem Glauben“, Spiritualität und Gottgläubigkeit so betont als wichtig erachtet wurde und ich damit (auch wenn das niemand so konkret sagt) als Atheistin keine gute, wahre Pfadfinderin mehr sein konnte. Es gab auch jeweils zum Schuljahresbeginn und bei Lagern Gottesdienste, deren Besuch sehr empfohlen wurde. Bei uns war auch ein katholischer Pfarrer Mitglied, der uns wenn immer möglich auf Lager begleitete.
    Abweichend zum Kommentar von Andreas Moser muss ich sagen, dass in meiner Ortsgruppe das Tragen der Kluft in den Altersgruppen ab 10 Jahren Pflicht war. Die jüngeren hatte ohnehin nur ein Halstuch, welches sie aber auch bei jeder Pfadfinderveranstaltung tragen mussten.
    In meiner Gruppe gabs im Jahreskalender zwei Wanderlager (je eines im Frühling und eines im Winter) und anders als von F. beschrieben war bei uns das Sammeln von Abzeichen sehr beliebt. Mehr Abzeichen führten auch zu mehr Ansehen in der Gruppe, was ich schon ziemlich doof fand.
    Geschichtlich gabs bei uns quasi nur von Baden Powell zu hören und bis zum Alter von 10 Jahren waren Mädchen und Jungs getrennt, aber danach wurde alle gemeinsam gemacht und gemeinsam gelernt. Nur die altersentsprechende Bezeichnung der Personen war weiterhin binär.
    Grundsätzlich find ichs gut, Kinder an verantwortungsvollen Umgang mit der Natur und in Gruppen auszubilden. Dennoch sehe ich Pfadfinder mittlerweile kritisch, da sie nicht so inklusiv sind wie sie sich darstellen möchten (und das laut ihren 8 Schwerpunkten vermutlich auch gar nicht sein möchten oder können).

    1. Uff – ich gebe zu: Beim Lesen musste ich mehrmals wieder an den Anfang deines Kommentars springen, um sicherzugehen, dass du hier wirklich über die 90er und nicht die 60er redest! Aber vor allem vielen Dank für die kritische Innensicht. Schärft mein Bild wieder ein klein wenig nach (auch wenn ich mir immer noch nicht so 100% sicher bin, was ich aktuell von den Pfandfindern halte)

  6. Hey!
    Das war tatsächlich die allererste Folge, die ich von dir gehört habe!
    Ich kann jetzt also schwer abschätzen wir journalistisch der Podcast in der Regel gestaltet ist, ich habe mich beim hören aber ein bisschen gewundert, dass gar nicht auf die Falken (auch wenn sie natürlich keine Pfadfinder sind), die Naturfreunde Jugend (auch keine Pfadfinder) oder auf den Bund Deutscher Pfadfinder_Innen (nicht zu verwechseln mit dem Bund Deutscher Pfadfinder und Pfadfinderinnen) als generell linke oder offen sozialistische Vereine eingegangen wurde..
    Auch die Bezeichnung der Kluft als Uniform hat mich leicht verwirrt, besonders weil der BDP (zum Beispiel) die Kluft vor über 40 Jahren abgelegt hat.
    Auch der Grundgedanke der Pfadfinderei, also die Welt besser zu hinterlassen, als man sie vorgefunden hat (daher auch jeden Tag eine gute Tat) und Kindern und Jugendlichen zu helfen zu eigenständigen Erwachsenen aufzuwachsen haben mir gefehlt.
    Ich kann das beschriebene Befremden gut nachvollziehen und finde es genau deshalb schade, dass solche Kernpunkte vielen Nicht-Pfadfinder*innen einfach nicht bewusst sind.
    Ich glaube, dass das Imageproblem der deutschen Pfadfinderszene durch vernünftige Aufklärung gelöst werden könnte. Ich weiß, dass deine Podcastfolge dazu beiträgt, als Pfadfinderin kann ich wahrscheinlich einfach nie zufrieden sein, wenn es um Representation geht.

    1. Danke für dein Kommentar! Ich habe tatsächlich viel Neues von Leuten gehört und erfahren, seit ich diese Folge damals veröffentlicht habe und sehe das inzwischen auch differenzierter. Wie du schon sagst: Auch nach der Recherche (die halt eben auch von „außen“ stattfand) waren mir viele Kernpunkte der Pfadfinderbewegung damals wenig bewusst. Die Kluft – wo sie noch getragen wird – finde ich aber immer noch befremdlich und naja .. es ist halt trotzdem eine Uniform 😀

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