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Auswüchse des Hurra-Patriotismus. Erster Akt: Philhellenismus und die Griechische Revolution

Der Philhellenismus und die griechische Revolution. Hier Lord Byron

Ideologische Dummheit gab es in der Geschichte wirklich schon in jeder erdenklichen Ausführung. Auf der Linken, auf der Rechten und überall dazwischen gab es schon die dämlichsten politischen Ideen. Und über die zu reden macht natürlich Spaß. Um eine davon soll es also auch heute wieder gehen: den Patriotismus. Oder genauer gesagt, den Hurra-Patriotismus! Einige verwandte Ideen haben wir ja schon im Artikel zu den dümmsten nationalen Mythen der Geschichte kennengelernt. Hier möchte ich mich nun etwas den praktischen Auswirkungen einer schlecht durchdachten Ideologie zuwenden. Und weil es dafür so viele Beispiele gibt, folgen nach dem Philhellenismus heute in den nächsten Wochen gleich noch zwei weitere Teile der Geschichte. Es macht eben Spaß…

Dumm, dümmer, Hurra-Patriotismus

Nun gut, der im oben verlinkten Artikel besprochene Nationalismus ist nicht ganz das gleiche wie der Patriotismus. Da sind ja alle stolzen Patrioten immer besonders erpicht darauf, das zu erwähnen. Trotzdem gehören die zwei Ideologien aber zur gleichen Familie. Und ziemlich dämlich sind sie auch beide. Bis vor etwa zweihundert Jahren wäre ja kein Mensch auf die Idee gekommen, sich mit seinem „Volk“ zu identifizieren. In der Ständegesellschaft des Mittelalters und der Neuzeit machte das schlicht keinen Sinn! Nein, nein. All das kam erst im 19. Jahrhundert so richtig in die Gänge, als das mit den Ständen und Gotteskönigstum und so weiter einfach nicht mehr so recht funktionierte.

Wo der Nationalismus die neue Grundlage moderner Staaten wurde, wurde der Patriotismus zu deren mächtigster Waffe. Seine Logik ist ebenfalls einfach. Es ist ja nun schön und gut, dank Volkszugehörigkeit zu einem Staat zu gehören. Besser ist aber natürlich, wenn man sich auch zugehörig fühlt und das zeigt. Am besten, indem man bereit ist, für sein Volk zu sterben. Man hat ja auch gefälligst dankbar zu sein! Dafür, dass man hier und nicht woanders geboren wurde. Da kann man selbst und der Staat ja bekanntlich viel dafür.

Wenn aber der Patriotismus an sich ideologisch schon etwas… wackelig ist, ist der Hurra-Patriotismus seine logische und noch viel wackligere Fortsetzung. Hier werden wirklich gar keine kritischen Fragen mehr gestellt. Man findet die eigene Nation einfach geil und basta! Diese Form des Patriotismus trat in der Geschichte immer wieder mal zu Tage und schon sein Name kommt dabei von den Meistern der unkritischen Vaterlandsliebe: Preußen. Preußischen Truppen sollen in den Napoleonischen Kriegen das „Hurra“ als Schlachtruf genutzt haben. Irgendwie blieb das hängen und bis zum Deutsch-Französischen Krieg 1870 hat sich der Begriff soweit durchgesetzt, dass so herrlich plumpe Gedichte wie dieses entstehen konnten:

Hurra, du stolzes schönes Weib, Hurra, Germania! Wie kühn mit vorgebeugtem Leib. Am Rheine stehst du da! Im vollen Brand der Juliglut, wie ziehst du frisch dein Schwert! Wie trittst du zornig frohgemut zum Schutz vor deinen Herd! Hurra, hurra, hurra! Hurra, Germania!

Ferdinand Freiligrath, wenn’s jemanden interessiert.

Na dann…

Die Griechische Revolution… gut genug!

Eines muss man den Anhängern des frühen Patriotismus aber lassen: Sie waren sehr flexibel, was das Objekt ihrer Begeisterung anging. Während man in Deutschland zwar natürlich erstmal Deutschland geil fand (und in England England, in Frankreich Frankreich…), ergab sich in den 1820er-Jahren ein neuer Anlass für ein bisschen Hurra-Patriotismus: Griechenland und die dort stattfindende Griechische Revolution. Das mutet auf den ersten Blick mal merkwürdig an. Da fanden sich plötzlich Patrioten aus Deutschland, England und sonstwo zusammen, um im Namen des sogenannten Philhellenismus Griechenland hochleben zu lassen.

Griechenland und der Philhellenismus boten sich aber doch irgendwie an. In Deutschland oder Großbritannien tat sich nach den napoleonischen Kriegen an der nationalen Front ja nicht so viel. Ab 1821 probten dafür aber die Griechen den Aufstand gegen das Osmanische Reich! Diese Griechische Revolution wurde zur mit frühesten erfolgreichen nationalen Befreiungsbewegung in der Geschichte Europas. Zumindest wenn man die Französische Revolution nicht mitzählt, was man wahrscheinlich sollte… Mit Kriegsende 1829 ging Griechenland erfolgreich aus dem Befreiungskampf hervor und wurde zu einem unabhängigen Staat. Das war einerseits der erste Nagel im Sarg des Osmanischen Reichs. Andererseits war es auch der Beginn vieler, vieler nationaler Revolutionen in ganz Europa, somit also ganz im Sinne unserer Hurra-Patrioten.

Klar, ganz ohne Hilfe der Großmächte hätte Griechenland seinen Befreiungskrieg kaum siegreich beenden können. Es waren letzten Endes Großbritannien, Frankreich und Russland, die die Griechische Revolution zu einem erfolgreichen Abschluss brachten und die Unabhängigkeit gegen das Osmanische Reich durchsetzten. Dabei spielten sicher geopolitische Motive eine entscheidende Rolle. Aber nicht ausschließlich. Die Anhänger des Philhellenismus in den eigenen Reihen erzeugten in diesen Staaten inzwischen nämlich auch ganz anständigen Druck! Oder Hurra, Hurra, Griechenland ist wunderbar, wie das Sprachgenie Ferdinand Freiligrat es wahrscheinlich ausgedrückt hätte.

Europa im Bann des Philhellenismus

Die griechischen Revolutionäre hatte somit doppeltes Glück. Nicht nur wollten die Großmächte ein Erstarken der Osmanen beziehungsweise vor allem der von ihnen angeworbenen Ägypter verhindern, sie hatten auch mit ordentlich Druck im eigenen Land zu kämpfen. Die Menschen dort – also die jungen, männlichen, adeligen zumindest – waren inzwischen in Massen dem Patriotismusfieber verfallen. Wirklich ausleben konnte man das, vor allem in Deutschland, aber natürlich nicht. Deutschland gab es ja noch nicht mal, auch wenn die Patrioten das wohl gerne geändert hätten. Da war Griechenland eine wunderbare Alternative, um sich etwas zu auszutoben. Es war ja immerhin der Ursprung der Demokratie und der europäischen Zivilisation an sich und so weiter. Auch das ein Argument, das schlecht informierte Menschen noch heute gerne verwenden.

Als die Griechische Revolution 1821 ausbrach, bildeten sich in Westeuropa somit schnell in zahlreichen Städten philhellenische Organisationen. Dort trafen sich dann die jungen Patrioten und… ja ich weiß nicht, was genau sie da taten… Vielleicht Griechisch lernen und sich über die „gute alte Zeit“ um 500 vor Christus unterhalten? Klingt jetzt auf den ersten Blick jedenfalls ziemlich nerdy. Ein bisschen, als würde man einem Esperanto-Club beitreten oder sowas. Philhellenismus war aber damals extrem en vogue. Unter den Mitgliedern solcher Organisationen waren zahlreiche schillernde Namen. Schiller zum Beispiel. Aber auch Goethe und Humboldt gehörten dazu, in Frankreich so wichtige Figuren wie Victor Hugo und in Großbritannien der Dichter und Frauenheld Lord Byron. Der bayerische König Ludwig fand die Sache sogar so toll, dass er sein Königreich kurzerhand von Baiern in Bayern umbenannte. Das Ypsilon ist auch so viel schöner… Später wurde dann sogar ein Bayer als König nach Griechenland entsandt!

Der patriotische Tod für eine andere Nation

Neben lustigen Kaffeerunden in ihren Gesellschaften wurden einige Philhellenen aber auch tatsächlich aktiv und zogen nach Griechenland, um im Unabhängigkeitskrieg zu kämpfen! In Deutschland wurden dazu dann sogenannte „Deutsche Legionen“ gebildet, in denen sich die Hurra-Patrioten der Zeit einschreiben konnten, um im fernen Griechenland zu sterben. Lord Byron verließ für den Zweck sogar seine junge Geliebte in Genua (er war damals ja eigentlich noch auf Grand Tour. Er starb dann gleich 1824 während der Kämpfe in Griechenland, allerdings nicht im Kampf sondern an einer Unterkühlung. Es gab auch schon glorreichere Tode… Aber das muss man sich trotzdem mal vorstellen: Die Leute waren damals tatsächlich bereit, für ein anderes Land in den Krieg zu ziehen und dort zu sterben! So gesehen war der Hurra-Patriotismus ja fast offen und liberal. Wenn man das von all den heutigen „Patrioten“ nur sagen könnte.

Ja, und das ist die Geschichte, wie Griechenland zum ersten Anlass für  westeuropäischen Hurra-Patriotismus wurde. Über die nächsten zwei Jahrhunderte sollte diese merkwürdige Begeisterung immer wieder mal auftauchen. Ein weiteres Beispiel gibt es dann gleich im nächsten Artikel. In der Zwischenzeit könnt ihr ja hier nochmal nachlesen, warum uns die ganze Geschichte überhaupt interessieren soll. Sucht ihr auch noch ein Objekt eurer Begeisterung, könnt ihr euch übrigens hier so richtig engagieren und euch für den E-Mail Newsletter anmelden. Hurra, Hurra, Newsletter blabla!

4 Gedanken zu „Auswüchse des Hurra-Patriotismus. Erster Akt: Philhellenismus und die Griechische Revolution“

    1. Was hat dich bei der Überschrift und den ersten Zeilen auf die Idee gebracht, es ginge hier um die Griechische Revolution an sich? Ich verwende die Ereignisse in Griechenland als Beispiel für eine Zeit, in der Patriotismus und Nationalismus in Europa Fuß fassten. Und ja: das tue ich in einem abfällig-überheblichen Ton. Dass der Griechische Unabhängigkeitskrieg nicht unspannend ist, ist auch klar. Aber das kann man auch anderswo nachlesen.

    2. Ich hingegen finde den ironisch-humorvollen Ton, den Sprachwitz und das Nichtverstecken der eigenen Meinung in Deinen Artikeln super! Hinter objektivitätsheuchelnden Wikipediabeiträgen sollen sich andere verstecken, die es sprachlich nicht so drauf haben.

      Insofern ein „hipp, hipp, hurra“ nicht nur für diesen Beitrag, sondern für Deinen Blog insgesamt!

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