Dieser Artikel ist ein Kapitel aus meinem Buch „Populismus leicht gemacht“. Erfahre hier mehr!
Es gibt einen interessanten Trend unter den Autokraten, Diktatoren und Populisten dieser Welt. Obwohl es keinen handfesten Grund dafür gibt, folgen heute nämlich fast alle von ihnen ein und derselben Ideologie. Jeder Alleinherrscher ist Nationalist! Das ist auffallend, weil es auf den ersten Blick so unnötig erscheint. Um Diktator zu werden, muss man sich doch keiner einengenden Ideologie unterwerfen! Und doch gibt es weltweit so gut wie keinen autokratisch und populistisch geneigten Politiker oder Herrscher, der nicht als Nationalist auftritt. Ein Blick in einige Länder Europas genügt schon, um diesen Eindruck zu bestätigen. Alle Politiker, die in der EU derzeit für Aufsehen wegen ihrer autokratischen Herrschaftsstile oder -wünsche sorgen, sind gleichzeitig auch brennende Nationalisten. Populismus ohne Nationalismus scheint fast unmöglich.
Tatsächlich scheint es also zu stimmen: Als Nationalist stehen Ihre Chancen für den Aufstieg an die Macht besser. Wobei … bei näherem Hinblick ist diese Erkenntnis vielleicht doch nicht so überraschend. Die Alleinherrschaft selbst mag zwar ideologiefrei sein. Der moderne Populismus vielleicht auch. Aber es kann offensichtlich nicht schaden, sich auf dem Weg dorthin einer erfolgreichen Ideologie zu bedienen und der Nationalismus ist die erfolgreichste Ideologie, die die letzten Jahrhunderte hervorgebracht haben. Er ist sogar ausgesprochen beeindruckend! Bis vor etwa 200 Jahren hätte Sie der durchschnittliche Bauer Europas nur blöd angeschaut, hätten Sie ihn gefragt, welcher Nationalität er denn angehört. Das war für die allerlängste Zeit der menschlichen Geschichte keine Frage.
Man sprach irgendeine Sprache und gehörte irgendeiner religiösen Denomination an, die persönliche Identität war aber bis vor relativ kurzer Zeit viel kleinräumiger. Die Lebenswelt der Menschen beschränkte sich auf ihre Familie, ihr Dorf, die örtliche Kirche und die unmittelbare Umgebung. Erst seit der Französischen Revolution begann die Idee der Nation und nationalen Zugehörigkeit um sich zu greifen, was aufgrund der Tatsache, dass man sich diese große Gruppe nicht mal vorstellen, geschweige denn sich als ihr Teil fühlen kann, schon faszinierend ist. Trotz dieser Abstraktheit des Nationalismus definiert sich heute fast jeder Mensch in erster Linie über seine nationale „Zugehörigkeit“. Bei diesem überwältigenden Erfolg ist es wenig überraschend, dass Diktatoren und solche wie Sie, die es werden wollen, nicht erst seit gestern versuchen, auf den Zug aufzuspringen. Sie legten dabei auch immer wieder eine gesunde Ladung Kreativität an den Tag.
Kommunistischer Revolutionär und Vater der Nation
Wie so oft, wenn es um die Kreativität und Wendehalsigkeit von Politikern geht, lohnt zuerst ein Blick in Richtung Josef Stalin. Der Mann legte im Laufe seiner Karriere einen Wandel hin, für den Aufsteiger des Populismus wie Sie ihn nur mit offenem Mund bewundern können. Als Stalin im Jahr 1953 starb, ging mit ihm eine Ära der russischen Geschichte zu Ende. Er war der Vater der Nation und das ist für einen (internationalistischen, würde man doch annehmen) Kommunisten dann doch auffallend. Wie konnte es also dazu kommen?
Man muss erst mal feststellen, dass die kommunistischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts nicht notwendigerweise die nationale Frage ignorierten, wenn sie auch noch so international taten. Gerade in Stalins Heimat Georgien waren Fragen von Nation, Klasse und System schon lange eng verknüpft. Die sozialrevolutionären Untergrundfiguren – ob nun Kommunisten, Anarchisten oder sonst was – waren zur gleichen Zeit auch immer Akteure im nationalen Kampf, der sich in diesem nicht-russischen Randgebiet des Zarenreiches abspielte. So kann man wohl auch den jungen Stalin als Nationalisten bezeichnen. Mit der Zeit änderte sich das aber und gerade die Bolschewisten unter Lenin verstanden sich seit dem frühen 20. Jahrhundert als eine durch und durch internationalistische Partei. Ihr Ziel war nichts geringeres als die Weltrevolution! Das ist er wohl, der Kommunismus in „Reinform“, wie er heute noch von verblendeten Linken verehrt wird …
Populismus darf nicht abgehoben sein
Damals nahmen die Bolschewiki die Ideale der Weltrevolution noch ziemlich ernst und in der Kommunistischen Internationalen, der Komintern, verband man sich mit anderen Bewegungen der Welt. Das war die Situation, die Josef Stalin vorfand, als er Mitte der Zwanzigerjahre die Macht in der Sowjetunion übernahm. Doch Stalin wäre nicht Stalin (wörtlich „der Stählerne“), hätte er diese vererbte ideologische Einengung nicht bald überwunden. Ihm schwebte schon früh eine ganz andere Art des Kommunismus vor. Eine Art des Kommunismus, die auch nationalistische Ideen mit einschließen konnte und sollte. Denn Stalin war ja nicht blöd. Er erkannte, dass der Nationalismus auch in der Sowjetunion eine stärker verwurzelte Ideologie war als der elitär-abgehobene Kommunismus. Niemand im einfachen Volk hatte Lust dazu, sich mit theoretischen Texten, wie Lenin sie so gerne schrieb, auseinanderzusetzen. Kommunistische Theorie ist einfach furchtbar langweilig! Die nationale Idee hingegen war den Menschen Russlands vertraut. Sie hatte schon im Laufe des 19. Jahrhunderts im Zarenreich ihren Siegeszug angetreten und was im Volk verwurzelt ist und bei den einfachen Leuten gut ankommt, das musste auch der neue starke Mann Stalin für sich nutzen. Schon 1924 begann er damit, offen mit der Phrase „Kommunismus in einem Land“ zu hantieren und keine zwei Jahre später war die Idee bereits offizielle Politik der Sowjetunion. Die paar bolschewistischen Brüder, die sich gegen diesen Wechsel aussprachen, wurden wie Leo Trotzki verfolgt und ermordet. Damit stand der Nationalisierung des Regimes nichts mehr im Wege.
Stalin ging zu Beginn aber doch vorsichtig vor. Die Floskel des „Sozialismus in einem Land“ bedeutete für ihn erst nur, die Entwicklung der Sowjetunion vor die Unterstützung ausländischer kommunistischer Bewegungen zu stellen. So fokussierte er sich spätestens ab Beginn der Dreißigerjahre auf den Aufbau eben jener Sowjetunion. Dem Staat wurde eine rasante Industrialisierung verordnet, daneben folgte bald die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft. Ebenfalls seit den frühen Dreißigern begann Stalin, gegen die noch von Lenin geförderten Nationalitätenbewegungen vorzugehen. Unter dem Begriff „Korenisazija“ (was soviel bedeutet wie „Verwurzelung“) wurden seit der Oktoberrevolution regionale Identitäten der Sowjetunion etwa in Zentralasien, dem Kaukasus oder der Ukraine gefördert. Mit der Führung Stalins nahm der zentrale sowjetische Nationsbegriff (also seien wir uns doch ehrlich: der russische) wieder Überhand. Begründet wurde das alles freilich mit dem „Fortschritt“. Sich gegen die Russifizierung des Landes zu wehren, bedeutete, sich gegen die Sowjetunion selbst zu stellen, und diese war bekanntlich das einzige Vehikel des Fortschritts in der Welt! Es galt sich also einzuordnen und einen neuen nationalen Geist zu entwickeln. Denn ob die Sowjetunion nun kommunistisch war oder nicht: Für Stalin musste sie auch ein Nationalstaat werden. Ein kleiner Kern der alten Minderheitenrechte blieb zwar auch in der Folgezeit erhalten, beschränkte sich aber mehr oder weniger auf das Lehren der Sprache in den Schulen. Ein Sowjetwitz aus der Zeit fasst die Situation schön zusammen: „Kulturautonomie ist das Recht, den Willen des Kreml auch in der eigenen Sprache zu sagen.
In der Krise schmiedet man die Nation
Die Entwicklung hin zur Nationalisierung beschleunigte sich gewaltig, als Nazi-Deutschland 1941 die Sowjetunion angriff und das Land damit in den Zweiten Weltkrieg eintrat. Was Stalin schon länger instinktiv gewusst und auch genutzt hatte, wurde nun zur Priorität. Man musste das Land gegen den Feind mobilisieren und die Bürger der Sowjetunion waren durch nationale, populistische Argumente eben leichter zu erreichen als mit den alten Bolschewistensprüchen. Die träumerischen Zeiten Lenins und der Weltrevolution waren endgültig vorbei und zu dieser Neuausrichtung passte auch das Auftreten des Führers Stalin, der sich immer mehr als Väterchen der Sowjetunion präsentierte. Während des Krieges fand sogar eine bis dahin unvorstellbare Annäherung zwischen Stalin und der Orthodoxen Kirche statt, nachdem die Kirche und ihre Vertreter zuvor ständiger Verfolgung ausgesetzt gewesen waren. Tausende Kirchen öffneten wieder ihre Tore, Stalin traf sich öffentlich mit ihren Vertretern und es wurde sogar ein neuer Patriarch bestimmt. Im Gegenzug unterstützte die Kirche den Krieg und rief unter anderem zu einer Spendenaktion für eine Panzerkolonne auf. Ja richtig. Nicht für den Krieg selbst. Die Kirche finanzierte eine Panzerkolonne.
Für die Unterstützung des Regimes im einfachen Volk dürfte das alles nicht ganz unbedeutend gewesen sein. Die russische Nation war schon lange eng mit der Kirche verknüpft und als Mobilisierungsfaktor im Krieg ging die Taktik für Stalin auch auf. Populismus in Reinform eben. Die Freundlichkeit gegenüber der Kirche änderte sich nach Kriegsende zwar schnell wieder, aber es hat ja auch niemand behauptet, Stalin wäre begeisterter Orthodoxer geworden (auch wenn er als Kind noch auf der Priesterschule gewesen war). Im Gegensatz zur Annäherung an die Kirche waren seine Schritte zur Nationalisierung der Sowjetunion aber nicht mehr so leicht umzukehren. Bis zum Ende des sowjetischen Staates 1991 waren alle starken Männer Moskaus auch Nationalisten. Wenn auch vielleicht internationalistische Nationalisten.
Was die Nation ist, liegt in Ihrem Ermessen!
Stalin machte mit seiner neuen Art des nationalen Kommunismus schnell Schule und nach Ende des Zweiten Weltkrieges kamen in ganz Osteuropa (Sie wissen schon, das von der Roten Armee „befreite“ Osteuropa) Politiker an die Macht, die ganz ähnliche Vorstellungen hatten wie er. Stalin war eben vieles. Nationalist, Kommunist, Links-Populist, Rechts-Populist, Führer, Weltenlenker und ja: auch Trendsetter. Für die neuen Regierenden (um nicht das Wort Machthaber zu benutzen, denn die saßen ja in Moskau) in den meisten Ländern Osteuropas waren die Mittel, denen sich der große Stalin seit 1941 bediente, von noch größerer Bedeutung, als sie es für ihn selbst gewesen waren. Die Nationalisierung der Bevölkerung war in Ländern wie Ungarn, Rumänien oder Polen viel weiter fortgeschritten als in der Sowjetunion und all diese Länder hatten in der Zwischenkriegszeit rechtsautoritäre Regimes erlebt, die diese Entwicklung noch weiter befeuert hatten. Ohne auf diese „nationalen Befindlichkeiten“, wie der tief verwurzelte Nationalismus damals wie heute verharmlosend genannt wurde, einzugehen, war keine Politik zu machen. Überall machten die kommunistischen Machthaber der Folgejahre also genau das, was der große Stalin vorgezeigt hatte. Sie spielten die nationale Karte und lernten ihre Lektionen über modernen Populismus von oben.
Einer von ihnen nahm es mit dem internationalistischen Nationalismus aber ganz besonders ernst und verdient gesonderte Erwähnung. Darf ich Ihnen einen der geheimen Helden dieses Buches vorstellen: Enver Hoxha aus Albanien. Die Ausgangssituation in Albanien war nach dem Krieg – das muss man schon betonen – eine sehr andere als in den restlichen Ländern des werdenden Ostblocks. Der Nationalismus war dort bei weitem nicht so tief in der Gesellschaft verwurzelt wie das weiter im Norden der Fall war. Albanien existierte als Staat erst seit gut drei Jahrzehnten und in der Zwischenkriegszeit folgte das Land einem noch altmodischeren Modell, als das die Rechtsautokraten anderswo taten. Da war nichts mit Demokratie: Albanien wurde in der Zeit zum ersten Mal in der Geschichte zum Königreich! Auch die kommunistische Bewegung kam im Land nur durch aktive Starthilfe jugoslawischer Gesandter vom Fleck. Zwei Dinge waren im Albanien der Nachkriegszeit somit eher unwahrscheinlich: ein national gefärbter Sonderweg jeglicher Art und eine mächtige kommunistische Bewegung. Enver Hoxha gelang beides. Was für ein Mann!
Als Resultat seiner Führung wurde Albanien in der Nachkriegszeit zu einem der merkwürdigsten Staaten Europas und der Welt, was nicht zuletzt an Hoxhas Verständnis von Kommunismus, Nation und Macht lag. Was das kommunistische Albanien besonders auszeichnete und als erstes ins Auge sticht, war dabei seine radikale Außenpolitik. An anderer Stelle dieses Buches werden wir noch mehr von dieser Politik und ihren Folgen hören. Es genügt aber erstmal zu wissen, dass Enver Hoxha seine Verbündeten in der Weltpolitik öfter wechselte als so manch anderer seine Unterhosen. Zuerst stand Albanien noch den Starthilfegebern in Jugoslawien nahe und wäre beinahe dem Staat Titos beigetreten. Ab 1948 folgte eine Annäherung an die Sowjetunion, später an die Volksrepublik China und am Schluss stand Albanien alleine auf weiter Flur da. Hoxha verordnete dem Land einen nationalen Sonderweg, der weltweit seinesgleichen sucht. Ein angeblich kommunistisches Land, das mit keinem Staat der Welt nennenswerte Kontakte unterhält. Das kann man noch nicht mal über Nordkorea in dieser Intensität sagen.
Ein nationalistischer Klassiker!
Untermauert war all das in Albanien durch eine besondere Art der Nationalerzählung. Denn man darf nicht vergessen: In weiten Teilen erbaute das kommunistische Regime Hoxhas erst den Nationalismus im Land. Kommunismus und Nationalismus gingen Hand in Hand und Hoxha baute das neue Nationaldenken um einen zentralen Punkt auf: die ständige Bedrohung von außen. Auch das wurde ja zu einem Fixpunkt des Populismus von heute. Wenn es nach der Führung in Tirana ging, wollte die ganze Welt der albanischen Bevölkerung Böses. Die Jugoslawen warteten nur darauf, in Albanien einzumarschieren, bei den Griechen war es genauso. Italien als ehemaliger Kolonialmacht war ohnehin nicht zu trauen und – je nach außenpolitischer Phase – war auch die Sowjetunion den Albanern schlecht gesinnt. Die logische Folge war für Hoxha eine Nationalisierung aus Trotz. Während das Land sich unter seiner Führung wirtschaftlich so gut wie nicht vom Fleck bewegte und noch in den Achtzigern mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von nicht mal 15 Euro zu den ärmsten Ländern der Welt zählte (auch eine Leistung für einen europäischen Staat), versuchte er, in der Bevölkerung ein stolzes Nationalbild aufzubauen. Das Bild einer Nation, die sich geeint gegen die Bedrohung von außen zur Wehr setzt.
Enver Hoxha griff dabei auf die klassischen nationalistischen Methoden zurück. Er verordnete dem Land ein Programm der Geschichtsgestaltung, in dem die Vergangenheit im Sinne der neuen Machthaber massiv zurechtgerückt wurde. Dabei griff das Regime weit über die sozialistische Phase hinaus und bediente sich auch der wichtigsten historischen Figur des Landes, Georg Kastriota, genannt Skanderbeg. Er war ein Fürst im 15. Jahrhundert, der sich gegen die frühe osmanische Herrschaft in Albanien auflehnte und gegen diese den Widerstandskampf suchte. Für ein heute zu großen Teilen muslimisches Land ist das schon ein interessanter Nationalheld … Es waren allerdings nicht erst die Kommunisten unter Hoxha, die diesen Skanderbeg für ihre Zwecke zu nutzen begannen. Auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg wurde er von Populisten aller Seiten als historischer Held des neuen albanischen Staates ausgegraben und während des Krieges gab es sogar eine albanische SS-Division mit dem Namen Skanderbeg. Die Kommunisten um Hoxha hatten nach Ende des Krieges trotzdem keinerlei Berührungsängste zu diesem Nationalsymbol und instrumentalisierten ihn noch stärker als zuvor. So wurden in kommunistischer Zeit im ganzen Land Skanderbeg-Statuen errichtet und neben der historisch bedeutenden Festung in Kruja wurde Anfang der Achtziger sogar ein monumentales Skanderbeg-Museum erbaut, das in seinem pseudohistorischen Stil nur schwerlich zu den Überresten der eigentlichen Burg passen will. Auch der erste albanische Spielfilm handelte natürlich von Skanderbeg und auch sonst konnte man dem Namen im kommunistischen Albanien kaum entkommen.
Ziel war es, der Bevölkerung ein gesundes Nationalgefühl einzuimpfen. Begeisterung für den Kommunismus war offensichtlich nicht so wichtig und vielleicht auch unrealistisch in einem Land ohne Arbeiterschaft und sozialistischer Tradition. Dem Nationalstolz war da als Bindeglied eher zu trauen. Sogar ein Nachfolger konnte sich nach dem Tod Hoxhas 1985 noch etablieren und musste erst nach Fall der Berliner Mauer in den frühen Neunzigern den Hut nehmen. Über einen Mangel an Nationalgefühl und rechten Populismus kann man im heutigen Albanien nicht klagen, was sich nicht zuletzt in großalbanischen Ideen von der Einnahme Kosovos und Teilen Mazedoniens äußert. Vielen Dank auch, werter Genosse.
Der Staat, den niemand wollte? Das wollen wir doch sehen!
Ich höre Sie schon einwenden: „Aber was ist denn daran jetzt so besonders? Albanien ist ja nicht das einzige Land, in dem der Nationalismus erst erfunden werden musste!“ Natürlich, natürlich, da lassen sich im Europa des letzten Jahrhunderts noch ganz andere Beispiele finden und zumindest bei einem lohnt sich auch die nähere Betrachtung. Bei meinem lieben Heimatland Österreich. Dieses Österreich war nach Ende des Ersten Weltkrieges in einer speziellen Situation. Bisher hatte das Land im Zentrum eines der größten Reiche Europas gestanden. Das Herz der Habsburgermonarchie schlug dort. Doch nach 1918 war davon plötzlich nichts mehr übrig. An allen Ecken und Enden des Reiches hatten sich die bisherigen Bestandteile unabhängig gemacht. Es entstanden so abstruse Gebilde wie die „Tschechoslowakei“, der sogenannte „Staat der Serben, Kroaten und Slowenen“ und gar ein Sagenkonstrukt namens „Ungarn“. Unfassbar dieser Sittenverlust! Und was soll man sagen … was übrig blieb, das war nun eben Österreich – wie es der französische Präsident George Clemenceau so schön auf den Punkt brachte.
Das Land erarbeitete sich aber schnell einen weiteren Beinamen. Man nannte Österreich bald den Staat, den niemand wollte. Keine guten Voraussetzungen für die Menschen im Land, ganz besonders nicht für diejenigen, die dort ein autoritär-nationalistisches Regime zu erbauen wünschten. Wenn die Bevölkerung selbst nicht mal an den Staat glaubt, wie soll man dort eine autoritäre Regierung errichten? Die Ausgangslage wurde dadurch erschwert, dass es in den „österreichischen“ Teilen der alten Habsburgermonarchie durchaus eine Nationalbewegung gegeben hatte. Nur war die eben keine „österreichische“ sondern eine „deutsche“. In den deutschsprachigen Teilen der Monarchie hatten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Vertreter eines gesamtdeutschen Nationsbilds hervorgetan und konnten damit Erfolge insbesondere in der bürgerlichen Bevölkerung erzielen. Die Unterschiede zwischen Deutschen und Österreichern spielten in diesen Überlegungen keine Rolle. Auch Österreicher waren Deutsche, sie lebten nur mit anderen Völkern in ihrer Monarchie (beziehungsweise herrschten über sie, wie die meisten Vertreter dieses Nationalismus es auch sehr richtig fanden).
Als sich 1918 dann die slawischen, ungarischen, italienischen und sonstigen Bewohner dieses Reiches in ihre gemütlichen neuen Nationalstaaten verabschiedeten, war den verbliebenen Deutschsprachigen schnell klar, wohin die Reise gehen musste. Es konnte keinen zweiten deutschen Staat geben, Österreich musste sich Deutschland anschließen! Die politische Führung der Zeit überließ diesbezüglich wenig der Fantasie. Der Staat, der in Wien zum Ende der Monarchie ausgerufen wurde, nannte sich „Republik Deutschösterreich“. In seiner Verfassung definierte sich dieses neue Österreich gleich als Teil einer deutschen Republik, auch wenn eine solche noch nicht mal wirklich existierte. Der Anschluss war damit vorweggenommen und auch in allen politischen Lagern der Zeit Mehrheitsmeinung. Sogar die Sozialdemokraten – diese gottlosen, nationslosen, zionistischen Bolschewisten, wenn ich Sie kurz erinnern darf – waren für den Anschluss an Deutschland. Auf der Basis lässt sich doch kein Staat machen!
War ja sicher nett gemeint …
Es waren dann die Siegermächte des Ersten Weltkrieges, die den Traum des gesamtdeutschen Staates platzen ließen und damit in Österreich neue Türen für Ihresgleichen öffneten, für rechtsautoritäre Nationalisten mit akutem Führungswahn. In den Pariser Friedensverträgen, die in Versailles für Deutschland und in Saint Germain für Österreich unterzeichnet wurden, war ein Anschluss nämlich explizit untersagt. Niemand in Österreich hatte nun einen Plan parat, was man mit dieser neuen Republik außerhalb Deutschlands anfangen sollte. Sie können sich vielleicht schon denken, was als nächstes geschah. Natürlich: Es gab jemanden, der aus diesem Machtvakuum Profit schlagen konnte und ja natürlich, diese Leute kamen aus Ihrem Team der Populisten. In den Zwanzigerjahren kristallisierte sich in Österreich eine Macht heraus, die die Politik des Landes für die nächsten Jahre fast im Alleingang gestalten würde: Die Christlichsoziale Partei und mit ihr eine ganze Masse an autokratischen Geistern, die sich den Staat nur zu gern unter den Nagel gerissen hätten. Das taten sie dann auch, aber es dauerte alles noch etwas.
In den ersten Jahren der Republik herrschte in Österreich ein parlamentarisches System und dort hatten auch die Sozialisten ein Wort mitzureden. Die saßen nämlich mit einer absoluten Mehrheit in der Hauptstadt Wien und waren auch in gesamtstaatlichen Wahlen eine Kraft, mit der man rechnen musste. Es war nur so, dass kein anderer mit den coolen Jungs von den Sozialisten spielen wollte. Die verbleibenden Machtblöcke um die Christlichsozialen und die Deutschnationalen teilten sich die Macht stattdessen untereinander auf. Ein politischer Block in der Staatsregierung, der andere in der Hauptstadt. Es war allen klar: Dieser Kampf musste irgendwann seiner Conclusio entgegengehen und als einer der Sieger ging ein unwahrscheinlicher Anwärter hervor: der österreichische Nationalismus. Bis in die frühen Dreißiger müssen wir uns dafür aber noch gedulden. Da eskalierte die Lage dann aber überall in Europa und Österreich war keine Ausnahme. Während im benachbarten Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht kamen, setzten nun auch Teile der Christlichsozialen Partei in Österreich an, das „Problem“ mit dem Sozialismus ein für alle Mal zu lösen – mit Unterstützung eines österreichischen Nationalgefühls. Engelbert Dollfuß machte 1933 Schluss mit dem Parlamentarismus in Österreich, gefolgt vom Bürgerkrieg und der Mundtodmachung der Sozialdemokratie. Und dann begann man plötzlich über eine „österreichische Nation“ zu reden. Man musste sie nur noch schaffen.
Die Populisten Österreichs sind noch heute dankbar
Kanzler Dollfuß blieb dafür jedoch keine Zeit mehr, da er nur wenige Monate nach dem Bürgerkrieg in einem nationalsozialistischen Putschversuch getötet wurde. Da sieht man mal wieder, was man davon hat, wenn der Staat nur auf die linke Gefahr achtet und auf dem rechten Auge erblindet. Zum Glück kann das heutzutage nicht mehr passieren und die Sicherheitsdienste nehmen Populismus gleichermaßen links- wie rechts ins Visier! Der neue Kanzler Kurt Schuschnigg setzte den Versuch mit der österreichischen Nation ab 1934 fort. Dazu nutzte er die neue Einheitspartei, die Vaterländische Front. Sie sollte, so hieß es im damaligen Wortlaut, alle vereinigen, „die bewusst und überzeugt österreichisch gesinnt sind“. Für die Gründung dieser Front löste man sogar die Christlichsoziale Partei auf, um sie in die neue Bewegung zu überführen – ein Trick, der in Österreich offensichtlich so gut funktioniert hat, dass sogar Sebastian Kurz ihn mit seiner „Neuen Volkspartei“ wiederholte.
Ein Staatssekretär und Mitglied der Heimwehr brachte die Politik der Zeit am besten auf den Punkt, als er sagte, dass dies der Versuch war, Hitler zu „überhitlern“. Was für ein Plan! Einen Wahnsinnigen in seinem Wahnsinn zu übertrumpfen. Wirklich geglaubt hat das den Herren Dollfuß und Schuschnigg wohl ohnehin keiner. Dazu waren sie sich selbst zu uneinig, was die „österreichische Nation“ denn überhaupt sein sollte. Als Schuschnigg 1938 das Land doch an Hitler übergab, waren seine letzten Worte „dass unser Österreich Österreich bleiben muss … Bis in den Tod. Rot-Weiß-Rot!“. Gleichzeitig stellte er den deutschen Truppen aber nichts entgegen, um das Vergießen „deutschen Blutes“ zu verhindern, wie Schuschnigg es ausdrückte. Er meinte damit nicht nur die Soldaten auf deutscher Seite … Nach dem Zweiten Weltkrieg fand Österreich dann aber glücklicherweise doch noch seinen Weg zum Nationalismus. Stilisiert als „erstes Opfer des Nationalsozialismus“ ging man fröhlich in die neue Zeit und wenn man sich heute in der politischen Szene Österreichs umschaut, kann man nur zum Schluss kommen: Das mit dem Überhitlern hat doch wunderbar geklappt.
Eine Prise Nationalismus gibt dem Populismus erst den Kick
Lassen Sie sich nicht von den links-grünen Meinungsmachern, den EU-Fanatikern und anderen Verblendeten in die Irre führen. Die große Zeit des Nationalismus ist auch im 21. Jahrhundert noch nicht vorbei! Um zu erkennen, wie mächtig die nationale Karte noch immer ist, reicht ein kurzer Blick in die aktuelle Weltpolitik. Erneut bleibt man fast zwangsläufig beim Populismus a la Donald Trump hängen. Sein politischer Erfolg baut zwar sicher auf einer komplexen Kombination von Faktoren auf, sein politisches Genie ist aber sicher keiner davon und auch seine Intelligenz dürfen wir getrost als Basis des Erfolges ausschließen. Alternative Erklärungsversuche gibt es zwar zur Genüge, aber machen wir uns doch nichts vor: Die wahre Basis eines Donald Trump ist der gute alte Nationalismus! Den Landarbeitern im Süden mag es zwar wirtschaftlich schlecht gehen, trotzdem lassen sie sich eher durch den Bau einer Mauer überzeugen als durch ein Wirtschaftsprogramm, das ihre Lebensumstände tatsächlich verbessern könnte. Die Menschen mögen genug vom „System“ haben. Wenn dieses System dann aber „Make America Great Again!“ schreit, sind sie liebend gern an Bord. Und warum? Weil die nationalistische Karte eben immer noch Trumpf ist! Wortwörtlich.
Haben Sie keine Angst davor, diese mächtigste aller Karten zu spielen. Kein großer Machthaber der letzten Jahrhunderte hatte dabei große Skrupel. Es hat sich für so unterschiedliche Herrscher wie Josef Stalin, Enver Hoxha und Engelbert Dollfuß gelohnt, es lohnt sich heute noch für Donald Trump. Warum sollte es sich nicht auch für Sie lohnen? Inspirationen für die Nutzung der alten Vorurteile finden Sie auch in Europa überall. Rechtspopulistische Parteien sind in fast allen EU-Ländern im Aufwind und sie bedienen alle den ewig alten Nationalismus. Es ist egal, wohin man schaut. AfD, Front National, FPÖ, Brexit-Partei … am Ende ist alles dasselbe. Sogar Staatspolitik wie in den besten Zeiten Stalins lässt sich mit dem Nationalismus noch immer machen. Viktor Orbáns Regime in Ungarn ist ein Paradebeispiel. Stärkung der positiven Selbstidentität der Ungarn (worauf auch immer man eine solche aufbauen mag), Angst und Hass gegenüber allem Fremden, Bau von Grenzzäunen, Plakate gegen die EU. Alle altbekannten Elemente sind im modernen ungarischen Populismus da, genau so wie sie es schon vor 80 Jahren waren. In Polen, Rumänien und Österreich schaut es nicht anders aus. Gehen Sie also ruhig mal auf eine ausgedehnte Shopping-Tour. Schauen Sie sich um, welche Variation des Nationalismus Ihnen am besten zusagt, aber um Gottes Willen: Seien Sie Nationalist! Notfalls eben internationalistischer Nationalist, oder „pro-europäischer“ Nationalist, oder „progressiver“ Nationalist …
Sehr geehrter Herr Grabuschnig!
Ich finde Ihr Buch ist gut gelungen. Ich habe über die historischen Hintergründe darin, neues Wissen erlangt und wurde zum Nachdenken geregt. Dabei haben Sie versucht es humorvoll aber trotzdem informativ zu verpacken.
Ich würde Ihr Buch jedem weiterempfehlen! 😊
Danke sehr!